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...die gefälligste Komparation von narzisstisch!

Assjima

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Assjima hat zuletzt am 30. April 2017 gewonnen

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Leistungen von Assjima

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Reputation in der Community

  1. Es war verboten, diesen Ort bei Nacht zu betreten, doch es war ihnen egal. Das einfache, hölzerne Gatter war kein ernsthaftes Hindernis gewesen und das Schild mit diversen Warnhinweisen hatten sie geflissentlich übersehen. Bei Sturm hätten sie sich sicherlich an die Regeln gehalten, aber es war eine der lauen Sommernächte, die an der windgeplagten irischen Westküste so selten waren. Nur so konnte dieses Naturwunder ohne die tausenden Touristen bewundert werden, die tagsüber auf den ausgetretenen Wegen entlang der Cliffs of Moher unterwegs waren. Der Weg war breit und übersichtlich und so konnten Sam und Assjima die 20 Kilometer Fußmarsch bis nach Liscannor trotz der nur vom Mondlicht nur schwach durchdrungenen Dunkelheit ohne Probleme bewältigen. Bei Hag’s Head legten sie eine längere Pause ein um sich einen Mitternachtsimbiss aus dem Rucksack zu gönnen. Der zusammengesunkene Steinwall von Mothar Uí Ruain - O’Ruans zerfallenes Fort – bot einige moosüberwachsene, recht bequeme Sitzgelegenheiten. Assjima lehnte den Kopf an Sams Schulter und er legte zärtlich den Arm um sie. Ein Weilchen starrten sie beide in die magische Nacht über dem Meer. Der Mond spiegelte sich auf der blanken Meeresoberfläche. Kaum ein Laut war zuhören. Selbst die tausenden von Seevögeln, die unter ihnen in den Klippen lebten, schienen zu schlafen. Es fiel Sam schwer, den Zauber zu brechen, doch irgendwann begann er, den Rucksack zusammen zu packen. „Wenn wir vor Sonnenaufgang in Liscannor sein wollen, müssen wir aufbrechen, Imzadi.“ „Ich weiß …“ Widerstrebend stand Assjima auf. „Auch wenn ich mir wünschte, dass dieser Augenblick nie vorbei gehen würde.“ Sie schob ihre Hand in die seine und sie gingen gemeinsam weiter. Als der Mond hinter dem Horizont versank und sich im Osten das erste Tageslicht erahnen ließ, erreichten sie eine Straße. Sam zog ein Padd aus der Jackentasche und warf einen Blick darauf. „Laut Sid müssen wir hier links abbiegen – bis zur Statue des O'Brien …“ „Da drüben ist sie schon zu sehen!“ Assjima zeigte mit ausgestrecktem Arm nach Norden. „Höchstens noch einen Kilometer. Dann haben wir es geschafft.“ Ein paar Minuten später standen sie vor einer kleinen, gepflegten Parkanlage. In der Mitte thronte eine durch einen Glaskasten geschützte Heiligenfigur. „Das muss die heilige Brigida sein.“ „Hm …“ Sam scrollte durch sein Padd. „Die Skulptur ist ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert. Ein gut erhaltenes Beispiel für die damals innerhalb der katholischen Kirche noch weit verbreitete Heiligenverehrung.“ Er umrundete die Figur und betrachtete sie interessiert. „Wie eine Göttin sieht die aber nicht aus. Die hat ja eine Abtskrümme in der Hand.“ Assjima lachte leise. „Das ist die Heilige Brigida von Kildare, nicht die keltische Göttin Brigid. Diese Dame hier hat vor beinahe zweitausend Jahren den Brigittenorden gegründet und wird überall in Irland als Schutzpatronin verehrt. Der Legende nach soll sie von ihrem heidnischen Vater nach der Göttin benannt worden sein. Es gibt aber auch Wissenschaftler, die der Ansicht sind, die Göttin Brigid sei von Christen erfunden worden, um die ungemein populäre Heilige Brigida gegenüber dem Heiligen Patrick als heidnisch und nicht existent zu denunzieren. Andere wiederum vermuten, dass diese Heilige nie wirklich existiert hat und zu einer modernen christlichen Form der Göttin gemacht wurde. So etwas war im frühen Christentum durchaus üblich, um es den Bekehrten jener Zeit leichter zu machen, eine neue, ihnen noch fremde Religion anzunehmen.“ „Was du alles weißt“ brummte Sam kopfschüttelnd. „Schräg ist das trotzdem … schau mal: da drüben muss der Eingang zur Quellhöhle sein!“ Er deutete auf eine schmale Öffnung in der Mauer. „Lass uns hineingehen bevor die Touristenmassen aufschlagen.“ Zügig verschwand er in dem engen Gang. Nach wenigen Augenblicken hörte Assjima seine erstaunte Stimme: „Das hier ist ja noch schräger! Das musst du dir unbedingt anschauen!“ Im Gegensatz zu Sam hatte sich die Deltanerin vorher über ihr Reiseziel informiert und wusste, was sie erwartete. Sie folgte ihm lächelnd. „Alles voller Votivgaben, nicht wahr? Und Stoffstückchen.“ „Woher weißt du das?“ Assjima hatte inzwischen zu Sam aufgeschlossen. Sie standen in einem engen, gemauerten Gang. An Wänden und Decke hingen farbenfrohe Stofffetzten, handgeschriebene Bittzettel mit Bildchen und Fotografien der Bittsteller, Kerzen, Heiligenfigürchen jeder Art und Kruzifixe in allen denkbaren Größen. „Das ist eine sogenannte Clootie Well, eine Lumpenquelle. Während des Gebetes wird ein Stoffstück in die heilige Quelle getaucht. Dann wäscht man das zu heilende Körperteil damit und hängt den Stoff anschließend an einen Baum oder – wie hier – an die Wand. So wie im Laufe der Zeit der Stoff zerfällt, so sollen auch die Leiden verschwinden.“ „Was du alles weißt!“ Sam grinste. „Eine seltsame Religion.“ „Aber phantasievoll, farbenfroh und erdnah. Dieser Ort ist das perfekte Beispiel, wie eine Religion gewaltlos in eine andere übergeht. Einst ein Kultplatz für die heidnische Brigid und nun ein Tempel für die christliche Brigida. Faszinierend!“ Assjima sah sich mit großen Augen in dem engen Gang um. Sie hatte viel über solche Orte gelesen, aber noch nie einen in der Realität betreten. Dann quetschte sie sich an Sam vorbei, um zu der am Ende des Ganges gelegenen Quelle zu gelangen. Auf den ersten Blick konnte sie dem kleinen, in Mauern gefassten Brunnen nichts Mystisches abgewinnen und war fast ein wenig enttäuscht. Aber dann dachte sie daran, welche Emotionen Sid bei seinem Besuch vor vielen Jahren empfunden hatte und setzte sich auf die schmale Stufe vor dem Becken. Plötzlich fiel ihr Blick auf ein paar kleine Figuren auf einem Mauervorsprung direkt gegenüber. Das waren keine Heiligenfigürchen. Das waren kleine – sie schaute genauer hin - Feen! Erneut ließ sie den Blick über die mit Votivgaben überfüllten Wände wandern und entdeckte immer mehr Figuren und Bilder, die nicht zu den katholischen Gaben passten. Kleine Frauenfiguren mit hauchzarten Flügeln auf dem Rücken, Männerfiguren mit langen Bärten und roten Kappen, bar jeglicher Heiligenattribute … auch der alte Glaube hatte seine Spuren hinterlassen. So kitschig wie das alles auf die Deltanerin wirkte, so spürte sie doch die tiefe Frömmigkeit der Menschen, die hier ihre Spuren zurück gelassen hatten. Sam tippte ihr auf die Schulter. „Mir ist es hier drinnen etwas zu eng und zu … na ja … volkstümlich. Ich warte draußen auf dich. Lass dir alle Zeit der Welt. In einer Stunde öffnet das Besucherzentrum unten am Parkplatz.“ Assjima antwortete nicht, lauschte nur auf die sich entfernenden Schritte und starrte in das glasklare Wasser, während sie an die Ereignisse der vergangenen Monate zurück dachte. Dann tauchte sie in ihren inneren Raum ein. Eine gute Stunde später betraten die beiden den in der Nähre befindlichen Pup, wo Sid schon vor einem morgendlichen Guinness saß und die beiden mit einem strahlenden Lachen empfing. „Na, ihr beiden Pilger? Wie war die Tour?“ Assjima beugte sich über den Tisch und begrüßte den Freund mit einem Kuss auf die Wange. „Es war wunderschön. Vielen Dank für den Tipp mit der nächtlichen Wanderung entlang der Klippen.“ Sam winkte dem Kellner und deutete auf Sids Bier, worauf er von Assjima einen verwunderten Blick erntete. „He Imzadi – ich passe mich nur den lokalen Gepflogenheiten an. Genaugenommen ist das auch kein Frühstück, sondern das Abendessen. Da darf man Bier trinken. Zumal die Einheimischen ja auch Bohnen zum Frühstück futtern. Da passt doch Kaffee überhaupt nicht.“ „Ich habe doch gar nichts gesagt. Oder hast du was gehört, Sid?“ „Gehört? Ich? Nööööö … gar nichts hab‘ ich gehört. He Ryan … bringst du der Dame bitte einen Kaffee und ein kontinentales Frühstück? Und für uns beide ein Full Irish Breakfast. Aber jetzt erzähl schon, Doc. Hast du die Anderswelt gesehen?“ „Leider nein. Aber ich kann nachvollziehen, dass du dort gewesen bist. Jeder braucht seine eigene dünne Stelle. Deine ist hier. Meine wäre vermutlich eine Quelle in einem Wald, die nicht über Jahrhunderte von Jahren von Glaubenden eingemauert wurde. Mit freiem Himmel über dem Kopf. Ich werde sie noch finden, auch außerhalb eines Subraumkanals.“ „Da bin ich mir sicher“ antwortete der Meditechniker gutgelaunt und nahm einen tiefen Zug aus seinem Bierglas. „Da fällt mir ein …“ Er bückte sich und wühlte in seiner Tasche herum. „Ich war vorhin noch kurz in dem Souvenirshop um die Ecke und hab‘ euch was mitgebracht.“ Er legte vor Sam ein Pärchen Socken auf den Tisch mit der eingestickten Aufschrift „Beer sucks“ und Assjima reichte er eine kleine, hübsch verzierte Schachtel. „Damit ihr euren kurzen Besuch auf meiner grünen Insel ein wenig in Erinnerung behaltet.“ Die Deltanerin öffnete die Schachtel und hielt einen Moment lang vor Erstaunen die Luft an. Dann zog sie ganz vorsichtig mit spitzen Fingern eine kleine, gläserne Feenfigur mit filigranen Flügeln hervor. „Sid … die ist wunderschön!“ „Versprich mir nur, dass du sie nicht mit auf die Community nimmst. Da geht die zu schnell kaputt. Es gibt hier in der Region eine Glaskünstlerin, die sich auf diese Figuren spezialisiert hat. Aber eine jede ist ein Unikat.“ „Versprochen! Sie kommt mit nach Hause, nach Seyalia. Vielen Dank!“ Währenddessen hatte Sam seine Socken mit großer Begeisterung auseinander gerollt. „Die sind echt cool, Kumpel! Ich werde sie gleich anprobieren.“ „Lass bloß die Wanderstiefel an!“ kam es im Chor von den beiden anderen zurück. „Das Frühstück kommt!“ Während sich die drei mit Heißhunger über das Essen hermachten, bemerkten sie nicht, wie der junge Kellner namens Ryan sie mit unverhohlener Neugierde beobachtete. Erst als er von seinem Chef eins mit dem Geschirrtuch übergezogen bekam, wurde Assjima auf ihn aufmerksam und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, das auch dem Wirt nicht entging. Er trat etwas verlegen an den Tisch: „Bitte entschuldigen Sie meinen Sohn. Er hat noch nie eine Außerweltliche gesehen. Die Besucher der Klippen verirren sich selten ins Landesinnere und hierher kommen eigentlich nur katholische Pilger und Neuheiden.“ „Das macht nichts, Mister“ entgegnete Assjima freundlich. „Da kann er froh sein, dass wir nicht von Ferengi Nar stammen. Da hätte der Junge gleich einen Kulturschock bekommen“ scherzte Sam mit vollem Mund. „Das Frühstück ist übrigens hervorragend.“ „Sie sind auch nicht von der Erde?“ hakte der Wirt überrascht nach. „Nein. Ich bin von Betazed. Meine Frau stammt von Seyalia. Hier besser bekannt als Delta IV.“ Ryan hatte sich nun auch ein wenig näher heran getraut. „Sie sind eine Deltanerin? Ich habe schon viel von ihrer Spezies gehört. Und auch von Betazed … ein wenig … noch nicht so viel …“ „Wir sind ja auch nicht besonders auffällig, Junge“ brummte Sam gutmütig. „Zumindest hier auf der Erde. Auf Andor ist das ganz anders.“ „Sie … Sie waren auf Andor?“ stotterte Ryan aufgeregt. „Ja klar. Und auf Kronos, auf Vulkan … auf vielen Welten.“ „Ach … jetzt verstehe ich“ mischte sich der Wirt wieder ein. „Sie müssen beide Kollegen von Sid sein. Auf der USS Community.“ „Nur Assjima. Ich bin selbständiger Frachterkapitän.“ „Aber genauso berühmt wie die Crew der Community!“ warf Sid nun ein. „Der Bursche ist ein richtiger Teufelsflieger. Hat uns schon einige Male aus der Zwickmühle geholt. Darf ich euch vorstellen: meine Chefin Commander Professor Doktor Assjima – die Chefärztin der Community. Der Vogel hier ist Captain Samylax Devimar vom Betazed. Und ihr redet mit Liam O’Brian vom „O’Brians Inn“ und seinem Sohn Ryan.“ „O’Brian?“ mischte sich nun die Deltanerin ein. „Haben Sie etwas mit dieser Säule ein Stück weiter unten zu tun?“ Der Wirt lachte. „Ja. Dieses Monstrum hat einer meiner Vorfahren sich im 19. Jahrhundert selbst spendiert. Er war ein bekannter Politiker und hat viel für den Tourismus in Irland getan. Den Turm auf den Klippen hat er auch errichten lassen.“ „Ich erinnere mich. Da sind wir gestern Abend vorbei gekommen. Wollen Sie sich nicht setzen? Es sind ja noch keine anderen Gäste da.“ Assjima deutete einladend auf die beiden freien Stühle am Tisch. Sie hatte den Mund noch nicht zugemacht und schon saß Ryan ihr gegenüber und starrte sie weiterhin mit großen Augen an. Liam lachte gutmütig und zog den anderen Stuhl heran. „Es ist mir eine Ehre, mit solch berühmten Personen an einem Tisch sitzen zu dürfen.“ „Jetzt tu mal nicht so, Liam. Du hast doch noch nie was von unseren Missionen gehört.“ „Tja … du erzählst ja nichts, Sid.“ „Bin ja viel zu selten hier und will da nicht unbedingt über die Arbeit reden müssen. Doch wenn du hin und wieder mal einen Blick in die Nachrichten werfen würdest – was du ja bekanntlich nicht machst …“ „Ich habe die Doku-Soap damals gesehen“ mischte sich Ryan ein und bekam rote Ohren. „Aber da war ich noch ein Kind. Die war toll!“ „Die war aber nicht immer jugendfrei, mein junger Freund“ Sam kicherte bei dem Gedanken an eine gewisse Szene, in der seine Frau oben ohne vor der Kamera stand. „Die war trotzdem toll … und Sie, Doktor, waren meine Lieblingsheldin. Ich habe Sie eben nur nicht gleich erkannt. Ist schon so lange her.“ „Da musst du aber noch sehr jung gewesen sein, Ryan. Das ist doch bestimmt schon zehn Jahre her.“ „Aber ich kann mich noch an vieles erinnern. Stimmt es wirklich, dass Sie mit Handauflegen heilen können?“ „Ja. Das trifft zu. Eine Eigenart meiner Spezies.“ Assjima bemerkte den fast flehenden Blick des jungen Mannes. „Gib mir deine Hand.“ Etwas zögerlich schob er seine Hand über den Tisch. Assjima nahm sie in die ihre und Ryan riss die Augen auf. „Oh Gott … das ist ja der eine Wahnsinn! Wie machen Sie das?“ Die Männer brachen in lautes Lachen aus, aber Assjima ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wenn du Biochemiker wärest, dann könnte ich es dir genauer erklären. Wir Deltaner sondern diverse Pheromone aus, die unter anderem dieses Prickeln verursachen.“ „Und noch anderes“ warf Sid dazwischen, was wiederum zu herzhaftem Lachen der Männer führte. „Ihr Kerle seid doch alle gleich …“ Die Deltanerin ließ Ryans Hand wieder los, bevor dieser in ernsthafte Gefahr geriet, vom Stuhl zu fallen. „Aber wie können Sie mit den Händen heilen. Das hat doch nichts mit Pheromonen zu tun“ hakte der Junge nach, ohne sich vom Gelächter aus dem Konzept bringen zu lassen. „Weil sie eine Hexe ist. Eine gute, eine deltanische, aber eben doch eine Zauberin.“ Sid meinte ernsthaft, damit eine befriedigende Erklärung geliefert zu haben. Ryan war jedoch nicht dieser Ansicht. „Auch Magie hat einen naturwissenschaftlichen Hintergrund. Sie basiert nur auf einer anderen Methodik“ konterte Ryan und ließ Assjima überrascht aufhorchen. Der Bursche ist doch höchstens 17 Jahre alt. Was kann er schon über Magie wissen? Und überhaupt: so formuliert kein 17jähriger … Sie schlug die Beine übereinander und beugte sich vor, um sein Gesicht genauer zu mustern. Rotbraune Locken umrahmten ein schmales, blasses Gesicht mit den typischen irischen Sommersprossen. Er erinnerte sie ein klein wenig an Aban. Nur hübscher. Und ohne abstehende Ohren. Und dann diese Augen. Sie leuchteten grün. Fast Smaragdfarben. „Wie meinst du das?“ fragte sie in möglichst unverfänglichem Tonfall. „Illusion. Gekonnte Ablenkung, basierend auf spezieller Menschenkenntnis. Sie Doktor, lenken durch das Pheromon-Prickeln ab um nebenher etwas ganz anderes zu machen. Unbemerkt natürlich und alle glauben, es sei durch Handauflegen geschehen. Doch was machen Sie in Wirklichkeit?“ Er knabberte verlegen an seiner Unterlippe. „Ich weiß, kein Magier verrät seine Tricks. Aber es interessiert mich trotzdem. Zumal ich vermutlich selber nicht in der Lage wäre, diesen Trick nachzumachen.“ „Du zauberst?“ „Ja. Ich bin Bühnenmagier. Hier bei meinem Vater helfe ich nur aus. Ich habe noch nicht so viele Auftritte, um davon leben zu können.“ „Er untertreibt mal wieder, mein Junge“ schaltete sich nun Liam ein. „Er ist ein verdammt guter Magier. Ein richtiges Naturtalent! Hat er von seinem Großvater geerbt. Der war ein wirklich großer Illusionist. So wie auch sein Urgroßvater. Die Bühnenzauberei hat eine lange Tradition in meiner Familie. Nur mich hat diese Begabung übersprungen. Mehr als ein paar simple Kartentricks habe ich nie gelernt.“ „Das ist spannend! Ich habe noch nie einen terranischen Illusionisten getroffen.“ Assjimas Müdigkeit von der durchwanderten Nacht war wie weggewischt. Doch bevor sie weiter nachhaken konnte, betraten neue Gäste den Pup. Es mussten Leute aus der Umgebung sein, denn sie begrüßten den Wirt lautstark mit Rufen nach einem sonntäglichen Frühstücksbier um sich dann - ohne zu fragen - nach irischer Tradition mit an den Tisch zu setzen und die Fremden in ein fröhliches Gespräch zu verwickeln. Weitere Grüppchen kamen dazu und der kleine Raum füllte sich. Es war Sonntag und die Leute hatten alle Zeit der Welt. Irgendwann hatte eine Frau eine Fiddel in der Hand und ein großer, bärtiger Typ angelte sich das Banjo von der Wand. Es wurde gesungen, das Bier floss in Strömen, Ryan kam mit dem Servieren kaum noch hinterher, bis erste Rufe nach dem Zauberlehrling laut wurden. Seine Stunde war gekommen: Münzen verschwanden in der Luft und tauchten hinter irgendeinem Ohr wieder auf. Geldbeutel wechselten im ersten Moment unbemerkt den Besitzer, die Saiten der Geige verstimmten sich wie von Zauberhand, Taschentücher hingen plötzlich kunstvoll ineinander verknotet unter den Deckenbalken … und all das auf intelligente und unterhaltsame Art und Weise von Ryan moderiert. Der anfangs so schüchterne Junge war kaum wieder zu erkennen und Assjima kam aus dem Staunen nicht wieder heraus. Natürlich waren das alles nur Taschenspielertricks, die sie selber recht gut kannte. Aber sie hatte diese Tricks noch nie in einer solchen Vollendung vorgeführt gesehen. Dazu kam die Spontanität. Nur ein wahrer Illusionist konnte dies ohne jegliche Vorbereitung derart gekonnt vortragen. Sie beugte sich zu Sam hinüber und flüsterte: „Der Junge ist unglaublich begabt. Ich kann mir kaum vorstellen, was er mit der richtigen Ausrüstung, ausgebildeten Mitarbeitern und entsprechender Vorbereitung auf einer großen Bühne zu leisten vermag.“ Sam nickte. „Nur schade, dass er hier am Ende der Welt hockt und vermutlich gar keine Ahnung hat, welche Möglichkeiten er im Rest des Universums hätte.“ Die Stimmung im Pub erinnerte Assjima sehr an die fröhlichen Gesellschaften auf Seyalia. Nur vermisste sie dabei die Sonne und die grüne Wiese. Als Ryan eine Pause einlegte und die Musiker wieder zu ihren Instrumenten griffen, nutzte sie die Gelegenheit, um für ein paar Minuten nach draußen zu gehen. Sie setzte sich auf die Bank an der Hauswand, schloss die Augen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Doch wenige Augenblicke später spürte sie, dass sie nicht alleine war. Also sie die Augen öffnete sah sie Ryan wenige Meter entfernt neben der Türe stehen. „Entschuldigen Sie, Doktor … ich wollte nicht stören.“ Er drehte sich um, um wieder hinein zu gehen, doch Assjima winkte ihn zu sich. „Du störst doch nicht. Komm‘ und setz‘ dich etwas zu mir. Du hast mich eben wahrhaft verzaubert.“ „Es hat Ihnen gefallen?“ Zögernd ließ er sich neben ihr nieder. „Aber das waren eigentlich nur die simpelsten Tricks. Passend für die Leute aus dem Dorf, die sich am Sonntag etwas leichte Unterhaltung wünschen.“ „Das habe ich durchaus erkannt. Aber es reichte aus, zu sehen, dass dies alles für dich nur leichteste Übungen sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du sehr viel mehr kannst. Bist du schon mal auf einer Bühne gestanden?“ „Nur in der Schule und hin und wieder im Gemeindehaus. Eine richtig große Bühne gibt es hier nicht. Nur in Dublin. Und da kennen wir niemanden.“ „Du hast keinen Mentor oder Agenten mit den richtigen Kontakten?“ „Nein. Leider nicht. Wir leben auf dem Land. Sehr weit auf dem Land …“ „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, weg zu gehen?“ „Nein …ja … manchmal. Aber ich kenne niemanden, der in den entsprechenden Kreisen verkehrt.“ „Was ist mit deinem Großvater?“ „Der ist leider vor ein paar Jahren gestorben. Und mit ihm seine Verbindungen. Er wollte mich immer in die Welt der Illusionisten einführen. Später, wenn ich älter bin … das hat er immer gesagt. Es sollte nie dazu kommen.“ „Das tut mir sehr leid, Ryan. Hat er dir Ausrüstung hinterlassen?“ „Ein paar Geräte. Aber die sind altmodisch. Heute lockt man mit seinen Tricks keinen mehr hinterm Ofen hervor. Sie wurden alle schon tausendfach kopiert. Ich hätte da schon ein paar Ideen, aber die dazu nötigen Maschinen zu bauen wäre extrem aufwendig. Und hier gibt es niemanden, der sie bauen könnte. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich wirklich auf einer großen Bühne stehen möchte. Weit weg von den wirklichen Menschen, die ich verzaubern möchte.“ „Du fühlst dich also in der Mitte deines Publikums am wohlsten?“ Assjima lächelte, denn das konnte sie nur zu gut nachvollziehen. „Du willst ihnen in die Augen sehen, ihre Reaktion beobachten, ihre Persönlichkeit erkennen um sie ganz individuell zu bezaubern.“ Ryan schaute sie überrascht an. „Ja, genau so ist es, Doktor. Ich will sie sehen, spüren, kennenlernen … und selbst die Traurigen unter ihnen nicht nur in Erstaunen versetzen, sondern für einen – wenn auch nur kurzen - Moment beglücken.“ „Das ist eine wunderbare Einstellung. Vielleicht solltest du einmal in einem Krankenhaus hospitieren. Da gibt es viele, die etwas Zauber gebrauchen könnten.“ „Oh! Das ist eine tolle Idee. In Lahinch gibt es eins. Da könnte ich mal fragen. Aber verraten Sie mir, wie Sie mit den Händen heilen?“ Assjima lachte. „Beherrscht du die Telekinese?“ „Nein. Leider nicht.“ „Dann kann ich es dir verraten: Wir von Seyalia haben ausgeprägt feine Sinne. Ich kann zum Beispiel die Aura eines Menschen spüren und manchmal auch den Astralkörper sehen. Und nicht nur den äußeren. Ich spüre auch den der Organe. Mit meinen Händen ertaste ich mental Unregelmäßigkeiten im Körper, spüre Fehlfunktionen, kann sie lokalisieren und Defekte mit Telekinese beheben, indem ich Zellen, Moleküle und sogar Atome telekinetisch anrege oder verschiebe.“ „Oder abtöten.“ „Ja. Auch abtöten. Tumorzellen zum Beispiel.“ „Das ist faszinierend.“ Ryan starrte auf seine Hände. „Das werde ich nie können.“ „Du bist auch kein Deltaner“ lachte Assjima. „Aber du hast viel Empathie. Damit lässt sich auch Gutes bewirken. Ich kann mit meinen Händen Schmerzen nehmen. Du kannst sie mit Humor und Freude wegzaubern. Die meisten Wesen lassen sich in solchen Situation nur zu gerne verzaubern.“ Der junge Mann zögerte einen Moment, schaute sich dann hastig um und griff in die Jackentasche. „Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Es ist ein Geheimnis. Mein Vater weiß nichts davon. Und Sie versprechen mir bitte, dass Sie niemandem davon erzählen?“ Die Ärztin schaut ihn überrascht an und nickte. „Ich werde niemandem etwas sagen – was auch immer du da in deiner Jacke versteckt hältst.“ Er zog ein ordentlich eingewickeltes Päckchen hervor und gab es Assjima. „Das habe ich von meinem Großvater. Er konnte damit nie viel anfangen, weil er eher der große Bühnenillusionist war. Aber er meinte, dass es mir einmal von Nutzen sein könnte, weil ich seiner Meinung nach für diese Art der Magie mehr Talent hätte als er. Es ist seit vielen Generationen im Besitz unserer Familie und wurde immer vom Vater an den Sohn weiter gegeben. Nur meinen Vater hat es übersprungen.“ Ryan lachte leise. „Ich stamme aus einer wirklich sehr alten Familie von Zauberern und Alchimisten. Mein Vater ist irgendwie aus der Art geschlagen. Seine Kunst beschränkt sich auf das Bierbrauen. Aber das kann er ausgesprochen gut.“ Vorsichtig öffnete Assjima das Päckchen und hielt unwillkürlich die Luft an. Das Buch in ihrer Hand war wirklich sehr alt. Sie öffnete es vorsichtig und sah sich plötzlich über einer handschriftlichen Sammlung von Formeln, Sprüchen und Rezepten. Der erste Eintrag war auf das Jahr 1532 datiert, der letzte endete bei 1713 – in einer anderen Handschrift. Sie hatte die Notizen mehrerer Generationen irischer Zauberer in der Hand … leider alles auf Gälisch geschrieben. „Du kannst das lesen?“ „Ja. Es gibt nicht mehr viele, die altes Irisch sprechen, aber mein Großvater hat es mir beigebracht.“ Assjima nickte. „Das ist das Schicksal der Sprachen kleiner Völker. Sie sterben aus und das Volk verliert mit der Sprache seine einzigartige Individualität.“ Sie blätterte mit spitzen Fingern durch das Buch. „Ich erkenne Formeln …“ „Das ist ein Rezeptbuch für den magischen Heiler.“ „Zaubertränke? Wie faszinierend. Ich wünschte, ich könnte lesen, was da steht.“ Ryan schmunzelte. „Da wären Sie sicherlich nicht die Einzige, wenn die Existenz dieses Buches bekannt wäre.“ „Warum zeigst du es gerade mir? Wenn doch nicht einmal deine Eltern davon wissen.“ „Sie würden nicht wissen, was sie damit anfangen sollten. Aber Sie wüssten es vermutlich.“ „Das mag sein … wenn ich die Sprache verstehen würde. Hast du davon schon was ausprobiert.“ „Ja, aber es ist bisher immer danebengegangen. Ich denke, mir fehlen die dazu nötigen Fachkenntnisse. Ich bin nur ein Taschenspieler, kein Heiler. Aber Sie sind eine Heilerin … wenn die Dokumentation nicht ganz frei erfunden war.“ Die Ärztin lachte. „Da war vieles gestellt und gesponnen. Aber es gab auch vieles, was korrekt dargestellt wurde. Hast du mal mit irgendeinem Mediziner, Pharmazeuten oder Biologen über diese Rezepturen gesprochen?“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich habe mal unseren Apotheker nach der Wirkung einiger darin erwähnter Heilkräuter gefragt und auch das eine oder andere Buch gelesen. Aber das hat nicht weiter geholfen. Es fehlten die Worte dazu …“ „… die wichtigste Zutat … und die funktionieren bei deinen Rezepten nur auf Gälisch. Ich verstehe, dass dir dabei keiner weiterhelfen konnte“ nickte Assjima. „Welche Geräte hast du benutzt?“ „Einen alten Kochtopf von Mutter …“ „Und vermutlich irgendein Schneidebrettchen und einen beliebigen alten Kochlöffel. Und dann hast du das Ganze auf ihrem Herd zusammengerührt?“ Ryan grinste. „Ja … während sie bei der Arbeit war.“ „Bei Tageslicht, unter der Dunstabzugshaube und vermutlich ohne dabei auf den Mondzyklus zu achten.“ „Hätte ich das tun sollen?“ „Unbedingt. Nicht jede Zutat kann zu jedem Zeitpunkt geerntet werden. Alle Pflanzenteile, die oberhalb der Erde wachsen, sollten ausschließlich an Tagen des zunehmenden Mondes gesammelt werden. Eine Ausnahme bilden Blüten und Blütenblätter; diese sollten unbedingt an Vollmond geerntet werden. Pflanzenteile, die unter der Erde wachsen, haben ihren idealen Erntezeitraum in den Tagen des abnehmenden Mondes. Und Tageslicht sowie frische Luft können sich negativ auswirken. Ebenso ein altes Schneidebrett mit Resten von anderen Kräutern in den Poren und Fasern des Holzes. Außerdem ist bei vielen Rezepten die Einhaltung bestimmter Rituale unerlässlich. Die Länge des Kochlöffels, die Umrührrichtung und Geschwindigkeit …“ „Das steht nicht in dem Buch“ seufzte der junge Ire. „Weil das Wissen um diese Dinge zum grundlegenden Handwerkszeug eines jeden Heilers gehört. Für deine Vorfahren waren diese Dinge trivial. Sie mussten nicht erklärt oder gar aufgeschrieben werden.“ „Und woher wissen Sie diese Dinge?“ „Weil ich sie in meiner Jugend von einer alten Meisterin erlernt habe.“ „Nennt man Sie deswegen weiße Hexe?“ Assjima lachte. „Das mit meiner zusätzlichen Ausbildung wissen längst nicht alle. Aber ich arbeite viel mit über Jahrhunderte überlieferten Rezepturen, die nicht zum Standartprogramm der Sternenflottenmedizin gehören.“ „Aber wie befolgen Sie auf einem Raumschiff all diese Vorgaben? Sie haben da doch keinen dunklen Keller, in dem Sie Ihre Tränke in einem Kessel über dem Feuer zusammenrühren können. Und Sie können auch keine Kräuter bei Vollmond ernten.“ „Das stimmt. Da würde mir der Chefingenieur oder gar der Captain den Kopf abreißen. Aber für bestimmte Essenzen habe ich den Replikator entsprechend programmiert. Einiges sammle ich selbst, wenn ich daheim bin, ein paar Pflanzen lasse ich in unserem hydrophonischen Garten oder im Arboretum anbauen, wo sich Mondphasen durchaus simulieren lassen und wieder andere Zutaten kaufe ich in Geschäften, die ich gut kenne. Den Rest muss leider die Schulmedizin abdecken.“ „Puh … das passt auch besser zu Ihnen. Irgendwie kann ich Sie mir nicht in einer Höhle über einem Kessel Zaubersprüche murmelnd vorstellen.“ „Warte ab, bis ich alt und schrumpelig bin“ schmunzelte die Deltanerin. „Aber genau das habe ich in meiner Jugend getan. Ich habe das Grundwissen erlernt und bin deswegen in der Lage, Magie und die traditionelle Medizin mit den Möglichkeiten der modernen Wissenschaft zusammen zu führen.“ „Das würde ich auch gerne können“ seufzte Ryan. „Ich müsste also zuerst eine Ausbildung zum Hexer machen und dann Medizin studieren … und das mit meinen miesen Schulnoten.“ „Schulnoten lassen sich verbessern, ein Medizinstudium ist auch machbar … aber eine Ausbildungsstelle als Zauberlehrling? Das könnte tatsächlich schwierig werden. Ich glaube nicht, dass es auf der Erde noch viele aus dieser Zunft gibt.“ „Das befürchte ich auch … dann bleibt nur die Bühne oder eine Arbeit als Krankenhauszauberclown.“ „Vermutlich findet sich auch unter diesen Neuheiden, die doch so gerne hier her kommen, kein ernst zu nehmender Magier …“ „Nein. Sie sind die erste echte Hexe, die ich getroffen habe. Alles andere sind nur Scharlatane gewesen.“ „Urteile nicht zu schnell. Sie mögen nicht perfekt sein, aber es gibt viele, die sich ernsthaft mit dieser alten Kunst befasst haben. Die meisten mischen die Rezepte durchaus korrekt zusammen aber interpretieren die eigentlichen Rituale und ihre Wirkung falsch. Sie setzen zu sehr auf Show und Ansehen. Sie nehmen sich selbst zu wichtig obwohl ihnen die eigentliche Gabe fehlt. Selbsterkenntnis, Demut, die immerwährende Suche nach wahrer Erkenntnis …Ob mir durch Geistes Kraft und Mund nicht manch Geheimnis würde kund; dass ich nicht mehr mit saurem Schweiß zu sagen brauche, was ich nicht weiß; dass ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält …“ sinnierte Assjima nachdenklich und erntete von Ryan einen fragenden Blick. „Ein Zitat aus einem alten Theaterstück. Ein Suchender … er verkaufte seine Seele um zu verstehen … was auch immer er glaubte verstehen zu wollen. Als ob eigene Erkenntnis…“ Sie winkte ab. „Das würde jetzt zu weit führen. Selbst ein Schwindler hat seine Berechtigung, wenn er seine Kunst der Täuschung benutzt um andere ein wenig glücklicher zu machen. Solange er damit keinen Schaden verursacht.“ Assjima hielt inne und lauschte den Geräuschen, die aus der Schankstube klangen. Musik, Gelächter … „Hörst du das Ryan?“ „Ja. Sie sind laut – wie immer.“ „Ich meine etwas anderes. Hörst du die Freude, das Glück? Da spielt eine Frau leidlich gut auf der Fiddel. Ein Kerl improvisiert auf dem Banjo und die anderen singen mehr schlecht als recht. Keine große Kunst, aber wahre Freude. Ich vermute, dass die Leute, die da so gutgelaunt beisammen sitzen, im Alltag nicht immer so gut aufeinander zu sprechen sind. Es gibt bestimmt Streitigkeiten, Missverständnisse, Unmut und Ärger. Aber trotzdem sitzen sie da drinnen und erfreuen sich an der Anwesenheit des Anderen. Doch wenn sie nachher nach Hause gehen, ist der Ärger von gestern wieder vergessen. Wegen ein paar glücklichen, gemeinsam verbrachten Stunden. Man muss kein Magier sein, um so etwas zu bewirken.“ „Es genügt, eine Fiddel spielen zu können?“ „Oder ein paar gut gemachte Taschenspielertricks. Was auch immer … die damit hervorgerufene Freude ist der Schlüssel. Doch wenn du nach Höherem strebst, wirst du nicht um eine gewisse Perfektion herum kommen. Du würdest sehr hart arbeiten müssen. Und ob du dein Ziel jemals erreichen würdest ist mehr als ungewiss.“ „Hm …“ Ryan starrte nachdenklich auf seine Stiefelspitzen. „Ich kann doch nicht mein Leben lang die Gäste im Pub meines Vaters bespaßen.“ „Ich will damit nur sagen, dass du dir nicht gleich von Anfang an ein zu hohes Ziel setzen solltest. Probiere dich aus. Ein Schritt nach dem anderen. Schaue nach rechts und links. Gehe mit offenen Sinnen und vor allem wachem Verstand durch die Welt. Weiche auch mal von deinem scheinbar vorgegebenen Pfad ab und es werden sich neue Türen auftun.“ Sie deutete auf das Buch in ihrem Schoß: „Verbeiße dich nicht darin, verstehen zu wollen, was deine Vorfahren hier aufgeschrieben haben. Es mag grandios sein, es mag die Lösung zu allem Leid des Universums beinhalten, aber es kann auch Schwachsinn und Scharlatanerie darin stehen. Nur weil es alt ist, muss der Inhalt nicht unbedingt klug sein.“ „Sie raten mir also, das Buch meiner Ahnen zu ignorieren?“ „Nein. Aber vergrabe dich nicht in Geheimnisse, die du jetzt womöglich noch gar nicht lösen kannst, weil du einfach noch zu jung bist. Lebe dein Leben. Genieße es in vollen Zügen. Habe jede Menge Spaß … und lerne dabei. Irgendwann wirst du bereit sein. Und dann verstehst du das Buch womöglich mit wesentlich geringerem Arbeitsaufwand als es nun der Fall wäre.“ Der Junge lachte verzagt. „Doktor … ich liebe es, zu tüfteln, zu grübeln und den Dingen auf den Grund zu gehen. Ich befürchte, dass ich es nicht schaffe, die Finger von diesem Vermächtnis zu lassen. Es macht mich ganz kribbelig, sobald ich nur daran denke.“ „Das verstehe ich nur zu gut. Es ist irgendwie … magisch.“ Sie schmunzelte. „Doch gerade das ist das Gefährliche daran. Ich habe erst gerade eine Mission hinter mir, die mich beinahe um den Verstand gebracht hätte, weil ich so vieles nicht verstehen konnte … und bis heute nicht gelöst habe. Glaube mir, es frisst einen auf.“ „Sie wirken aber nicht besonders verwirrt.“ „Sag das mal meinen Kollegen“ lachte Assjima. „Ich habe das Glück, viele Freunde zu haben, die mich in kritischen Momenten auffangen und wieder auf die Beine stellen. Und genau deswegen ist es mir sehr ernst damit: Vergrabe dich nicht in einem dunklen Keller mit einem Kessel über dem Feuer und diesen geheimnisvollen Schriften auf dem Knie. Dann fangen dich die dunklen Mächte ganz schnell ein. Lebe im Licht, habe Spaß mit deinen Freunden, erfreue andere und lerne von ihnen. Dann wirst du das hier …“ sie drückte ihm das Buch in die Hand „… irgendwann verstehen ohne in Gefahr zu geraten.“ „Sie halten das wirklich für gefährlich?“ „Alles was in Unverstand und Übermaß konsumiert wird, ist gefährlich.“ „Aber …“ Er warf ihr einen verzweifelten Blick zu. „Okay … ich mache dir einen Vorschlag. Hast du Zugang zu einem Kommunikationsterminal?“ „Wir leben zwar auf dem Land, aber nicht in der Wildnis. Meine Eltern haben eins.“ „Sehr gut. Scanne die Texte sauber ein. Mit der höchst möglichen Auflösung. Alles – auch den Umschlag und scheinbare Leerseiten. Ich gebe dir nachher einen Code, auf dem du mich auf Sams Schiff erreichen kannst. Sobald ich wieder auf der Community bin, werde ich versuchen, zusammen mit meinem Kollegen und mit Hilfe der Datenbank, diese Schriften zu analysieren. Vielleicht können wir etwas mehr herausfinden. Und du, mein junger Freund, packst eine Tasche und fährst möglichst bald nach Dublin. Dort schaust du dir alle Zaubershows an, die dir über den Weg laufen. Nicht nur die großen – vor allem die kleinen. Spreche mit den Künstlern, mache dich mit ihnen bekannt, tauscht euch aus, sammle Kontakte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du so eine Stelle als Assistent finden kannst. Oder einen guten Agenten, der dich vermittelt. Habe keine Angst davor, ganz klein anzufangen. Auf Kindergeburtstagen, bei Firmenfeiern, in Krankenhäusern und Seniorenresidenzen … es ist wichtig, den Weg von Anfang an zu gehen. Aber gehe ihn nicht alleine. Im Team ist alles leichter. Und wir bleiben in Kontakt, okay? Ich möchte unbedingt wissen, wie es bei dir in Zukunft läuft.“ Auf Ryans sommersprossigem Gesicht breitete sich ein breites Grinsen aus. „Das würden Sie machen?“ „Das ist das Geringste. Ich will schließlich auch wissen, was in diesem Buch steht“ lachte die Ärztin. „Außerdem habe ich ein Faible für junge Zauberer.“ „Soso … und nicht länger für alte Frachterkapitäne?“ Assjima blickte überrascht auf. „Hallo Sam! Ich habe dich gar nicht bemerkt.“ „Das sehe ich. Kaum glaubst du dich unbeobachtet, flirtest du mit jungen Kerlen.“ Sam lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und lachte. „Ryan – nimmt dich bloß in Acht. Deltanerinnen sind schöne, aber sehr gefährliche Wesen.“ Der junge Ire lief dunkelrot an. „Ich … wir haben uns doch nur unterhalten …“ Hastig steckte er das Buch wieder in seine Jackentasche. „Sie sieht aber gar nicht gefährlich aus …“ „Trau schau wem, junger Mann.“ Sam schlug ihm grinsend auf die Schulter. „Aber was immer sie dir erzählt haben mag: folge ihrem Rat. Denn sie ist nicht nur gefährlich, sondern auch verdammt klug. Solange man sie nicht verärgert gibt es keine bessere Mentorin.“ „Mach‘ ihm keine Angst, Sam.“ „Ach was. Ryan ist klug genug, um erkannt zu haben, dass du an einem chronischen Helfersyndrom leidest. Aber im Moment ist dein Vater viel gefährlicher. Er flucht schon seit 10 Minuten vor sich hin, weil sich sein Kellner verdrückt hat. Ich befürchte, er könnte jeden Augenblick explodieren.“ „Mist …“ Ryan sprang auf die Beine … „den alten Herrn habe ich ganz vergessen“ und sauste mit Höchstgeschwindigkeit zurück ins Haus. „Alter Herr? Der ist doch keinen Tag älter als ich“ brummelte der Betazoide. „Ist halt alles eine Frage der Perspektive, Imzadi“ Assjima stand auf und gab Sam einen Kuss. „Mir sind die reifen Männer viel lieber als diese Jungspunte.“ „Das will ich doch schwer hoffen. Zumal wir alten Knacker viel stärker sind.“ Er hob die zappelnde Ärztin hoch und warf sie sich über die Schulter. Dann trat er die Türe auf und stapfte hinein. „Liam … ich glaube, hier ist jemand endlich reif für ein anständiges Bier.“
  2. jetzt kannst du die Community wegen mir abfliegen lassen, jones ;-)
  3. Gamma 7 war beileibe kein architektonisches Meisterwerk. Aber die Wände hatten eine andere Farbe und die Gerüche waren abwechslungsreicher als auf der Community. Es gab sogar ein kleines Promenadendeck mit einer Handvoll Läden. Assjima lehnte an einer Säule und beobachtete scheinbar gedankenverloren eine kleine Gruppe cardassianischer Händler, die um den Preis einiger Rollen Tuch schacherten. Wenige Meter weiter standen drei Menschen an einem Süßigkeitenstand, deren bruchstückhafte Gedankenbilder ihr verrieten, dass es sich um Siedler aus den Badlands handelte. Schräg hinter ihr saßen fünf romulanische Offiziere um einen kleinen Tisch. Die gehörten sicherlich zu der Crew des Warbird, welcher den romulanischen Piloten zurück ins Reich holen sollte. Es tat gut, das ganz banale Leben außerhalb der Community zu beobachten, ohne das irgendwelche Rätsel oder gar Gefahr im Hintergrund lauerten und alle ihre Sinne scannten die Umgebung, um diese Eindrücke aufzunehmen und in der Erinnerung zu speichern. So entging ihr auch keinesfalls der Hauch einer Bewegung, die leichte Temperaturveränderung, der schwache Duft eines bestimmten Rasierwassers, die wage Veränderung der Aura hinter ihr. „Hast du Ulan Nveid verabschiedet?“ fragte sie leise, ohne den Blick von den Cardassianern zu nehmen. Captain Tenner atmete aus. „Ich gebe es auf. Dich kann man einfach nicht überraschen.“ Er hielt ihr eine kleine Tüte hin. „Hier – du magst doch eingelegte Mandeln? Da vorne gibt es einen kleinen Laden mit bajoranischen Spezialitäten.“ Assjima drehte sich um und fischte lächelnd eine der kleinen Köstlichkeiten aus dem Tütchen. „Danke! Ich liebe die Dinger. Wird der Ulan meine Grußnachricht an Dalis weitergeben?“ „Ja, wird er. Du hättest seine Eltern sehen sollen! Ich hätte niemals gedacht, dass Romulaner vor Freude vollkommen aus dem Häuschen sein können.“ „Ich war schon überrascht, dass die beiden alten Herrschaften überhaupt mit hier her kommen durften. Ich hatte mir das eher so vorgestellt, dass er erst einmal auf Romulus feierlich empfangen würde, dann für Wochen in eine Quarantäne müsste und erst im Anschluss seine Familie zu sehen bekäme. Die Romulaner können uns offensichtlich noch immer überraschen.“ Tenner lachte. „Vermutlich nur wieder ein Trick um uns in der trügerischen Sicherheit zu wägen, es würde sich im Reich etwas verändern.“ „Sei doch nicht immer so misstrauisch, Captain.“ „Das sollte Sarkasmus sein, Doktor. Sag mal: hat es einen bestimmten Grund, dass du hier herumstehst oder kommst du mit mir in diese kleine Bar dort drüben? Ich würde gerne ein syntohlofreies Bier trinken.“ „Nun ja … meine Spionageaktivitäten können warten.“ Sie deutete auf die drei Menschen an dem Stand voller Süßigkeiten. „Ich wette, dass diese Siedler zum Marquis gehören. Aber sie planen keinen Sprengstoffanschlag, sondern nur ein Attentat auf ihr Körperfett. Gibt es da auch Schirmchencocktails?“ „Davon gehe ich aus.“ Wenig später saßen die beiden Offiziere an einem Ecktisch der kleinen Spelunke, die sich wie der Rest der Station stilistisch nicht gerade auszeichnete. Das Mobiliar schien aus allen Ecken des Universums zusammen getragen zu sein und schien nur eines gemeinsam zu haben: es hat bei der Anschaffung garantiert nichts gekostet. „Na, das nenne ich mal Upcycling“ scherzte Jeremy und nahm einen großen Schluck von dem frisch gezapften Bier. Ein ungewohnter Anblick für Assjima, denn sie hatte ihn noch nie mit einem Bier in der Hand gesehen. Tee oder ein Glas Wein … aber Bier? Die kleine blaue Welt hatte ihn irgendwie verändert. Er wirkte gelöst, ungewohnt fröhlich … „Was ist los, Jeremy?“ „Was soll los sein?“ „Du hast gute Laune.“ „Warum sollte ich keine gute Laune haben?“ „Weil du selten gute Laune hast.“ „Wie meinst du das? Ich habe oft gute Laune.“ „Nein. Du hast immer nur eine Captain-Laune. Mal strenger, mal weniger streng.“ Assjima fixierte ihn mit ihrem Blick. „Du hast deinen Abschied eingereicht?“ Tenner seufzte. „Du bist mir nach all den Jahren manchmal immer noch unheimlich, Doc. Ich glaube, es gibt niemanden im ganzen Universum, der mich so schnell durchschaut. Niemanden, der mich so gut kennt. Ich werde dich vermissen.“ Er trank so hastig noch einen Schluck, dass ihm der Schaum an Oberlippe und Nasenspitze kleben blieb. Die Ärztin schmunzelte. „Dich zu durchschauen ist nicht so schwer. Selbst ohne deine Gedanken zu lesen. Also: was hast du vor, Captain?“ „Ich habe meinen Abschied nicht eingereicht, Assjima, sondern nur Urlaub auf unbestimmte Zeit. Ich muss über einiges nachdenken. Es gibt so vieles, was ich noch tun möchte. Und nicht alles ist meinem Dienst in der Sternenflotte kompatibel. Ich muss mich ein wenig um meine Eltern kümmern. Und um den Rest meiner Familie.“ „Das verstehe ich …“ Assjima dachte an die kurze, schmerzvolle Begegnung mit seinen Eltern und an den schönen Tag auf dem Weingut seiner Nichte, inmitten ihrer Familie, die irgendwie auch die seine war. Sie erinnerte sich an seine liebevollen Blicke, wenn er Roxanas Kindern beim Spielen zuschaute, an die Begeisterung, mit der er von Honig und Wein sprach … Bodennähe und Familie, sein heimlicher Traum, der nichts mit dem Leben eines Sternenflottenkapitäns zu tun hatte. Ein Traum, den sie durchaus mit ihm teilte. „Aber noch traust du dich nicht, die Reißleine zu ziehen.“ „Sollte ich das machen“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist die Vergangenheit wie ein Anker. Vielleicht muss man das loslassen, was man einst war und das zu werden, was man einst sein wird.“ „Geht es auch weniger … deltanisch?“ Assjima versuchte vorsichtig, mit dem Zahnstocher die im Martini badende Olive aufzuspießen, während sie nach einer Übersetzung suchte. „Niemandem ist der Weg in seine Zukunft in die Wiege gelegt. Doch für jeden gibt es letztendlich nur eine wahre Erfüllung. An jeder Gabelung muss man sich neu entscheiden. Es kann jedoch passieren, dass einen die gewählten Wege weit weg von der Erfüllung führen. Träume von der Erfüllung können falsch sein, ein falsches Ziel vorgaukeln, sich im Nebel unauffindbar auflösen … der Held, der von Anbeginn an sein wahres Ziel fest im Auge zu haben glaubt, irrt meistens. Der wahre Held erkennt die wenigen sich bietenden Möglichkeiten, die einen Querpfad zum richtigen Weg zeigen, oder gar eine Kehrtwendung ermöglichen. Der Anker der Vergangenheit ist der feste Glaube, dass man unmöglich sein ganzes bisheriges Leben lang auf falschen Wegen gewandelt sein könnte. Die Illusion, dass dies einfach nicht sein kann, nicht sein darf, denn es würde das bisherige Leben in Bedeutungslosigkeit auflösen. Aber das ist nicht korrekt. Ein Leben – egal auf welchen Wegen – wirkt sich immer auf die Gemeinschaft aus. Hier kann man viel Gutes vollbracht haben. Doch irgendwann kommt der Moment, an dem man sich entscheiden muss: will ich weiterhin ein Teil dieser einen Gemeinschaft sein und ihr dienen oder möchte ich den Weg finden, der mich zu mir zurück führt. Bin ich sicher, dass ich als Teil der Gemeinschaft das sein will was ich einst sein werde oder ist es meine Bestimmung, andre Wege auszuprobieren um zum wahren Ziel zu gelangen?“ „Verdammt Assjima … das war noch viel deltanischer! Du verwirrst mich.“ Jeremy betrachtete sein Gegenüber während er versuchte, nachzuvollziehen, was sie gesagt hatte. „Sag mal … hast du eben von mir oder von dir gesprochen?“ Endlich hatte sie die Olive erwischt und in den Mund geschoben. „Keine Ahnung …“ antwortete sie kauend. „Von dir … vielleicht auch ein wenig von mir. Aber nachgedacht habe ich über dich.“ „Du glaubst also, ich solle den Dienst quittieren um herauszufinden, ob mich mein Platz in der Sternenflotte tatsächlich auf den richtigen Weg geführt hat? Und wenn es der richtige Weg ist? Dann bin ich abgebogen und komme nicht mehr zurück.“ „Nein, so habe ich das nicht gemeint. Du musst darüber nachdenken, ob du inzwischen nicht genug für diese Gemeinschaft getan hast. Dein ganzes Leben lang hast du dich über deine Tätigkeit als Offizier definiert. Ist deine Funktion in der Föderation jedoch deine wahre Erfüllung? Bist du wirklich glücklich damit? Oder ist dein Wissensdurst jetzt gestillt? Denke daran: es gibt viele Wege. Wäre es womöglich nun an der Zeit, sich über andere Optionen Gedanken zu machen? Familie, Kinder, vielleicht ein Weingut in Kalifornien … würde dich das glücklich machen?“ „Bin ich das nicht schon?“ „Glücklich? Nein, mein Freund. Du bist nicht glücklich.“ Sie legte ihre Hand auf die seine. „Du bist nicht einmal zufrieden. Du glaubst es vielleicht, weil du deine Pflicht mehr als nur erfüllst. Weil du Anerkennung bekommst, weil man auf dich nicht verzichten will. Glücklich habe ich dich nur einmal erlebt, nämlich auf dem Weingut deiner Nichte. Und zufrieden scheinst du mir seit deiner Rückkehr aus der kleinen blauen Welt zu sein. Was ist dort wirklich mit dir passiert?“ „Hm …“ Seine Hand umschloss Assjimas fest. „Ich glaube es war das bodennahe, einfache Leben. Ohne Replikatoren, ohne Technik. Dann die kleine, überschaubare Gemeinschaft. Und ich bin einer Göttin begegnet. Sie hat mit mir gesprochen. Wir mussten unser Schicksal in ihre Hände legen. Konnten es nicht mehr selber bestimmen … und dennoch waren wir uns sicher, dass sie uns beschützt. Sie hat uns alles gegeben, was wir zum Überleben benötigten. Bedingungsloses Vertrauen … ohne zu wissen, ob wir jemals wieder in unsere Welt zurück kehren würden.“ „Der Anker der Vergangenheit schien gekappt … und du warst glücklich?“ „Wenn du mich so fragst: ich glaube tatsächlich, dass ich glücklich war.“ „Dann nutze die Gelegenheit, Jeremy. Nehme deinen unbefristeten Urlaub. Löse dich von dem Gedanken, unbedingt wieder in den Dienst zurück kehren zu müssen. Du hast der Sternenflotte einen großen Teil deines Lebens geschenkt. Du bist ihr nichts mehr schuldig. Versuche dich in einem Leben außerhalb der Sternenflotte. Kümmere dich um deine Eltern, kümmere dich um Roxana, aber kümmere dich vor allem um dich! Stelle dich selber zumindest eine Zeitlang in das Zentrum deines Lebens. Suche dir eine Partnerin und probiere das Leben zu zweit …“ Tenner lachte verkrampft auf. „Kannst du dich mir als Ehemann vorstellen? Ich glaube nicht, dass ich dazu geeignet bin. Dazu war ich viel zu lange Captain.“ „Ich bin mir sicher, dass du lernfähig bist, Jeremy. Du wirst ganz schnell erkennen, dass Lasten sich zu zweit viel leichter tragen und das Glück sich zu zweit verdoppelt.“ „Du hast leicht reden, Assjima. Könntest du dir zufällig vorstellen, dich von Sam zu trennen und mit mir auf einem Weingut auf der Erde zu leben?“ Assjima verschluckte sich beinahe an ihrem Martini. „Oh … Letzeres könnte ich mir gut vorstellen. Aber du würdest mich und Sam sowie den restlichen Harem vermutlich nicht lange ertragen.“ „Welchen Harem?“ „Na den auf Seyalia“ antwortete die Ärztin augenzwinkernd. „Jetzt übertreib mal nicht so.“ „Okay – es gibt da keinen festen Harem. Aber auf deinem Weingut wird es bestimmt eine Menge gut gebauter Mitarbeiter geben. Beiderlei Geschlechts. Sei ehrlich: das würde deiner Vorstellung von Glück garantiert nicht entsprechen.“ „Da hast du vermutlich recht“ lachte der Captain. „Außerdem würdest du ständig an mir herumdoktorn. Und meine Gedanken lesen.“ „Selbstverständlich würde ich das. Ich wäre nicht mehr an die Zwangsauflagen der Sternenflotte gebunden und würde alles nachholen, was ich in den letzten Jahren versäumt habe. Mit uns beiden wird das leider nichts, Captain. Aber ich verspreche dir, dass ich dich nicht hängen lasse.“ „Was hast du vor?“ hakte Jeremy neugierig nach. „Ich bin eine Hexe. Vergiss das nicht. Und Hexen verraten ihre Geheimnisse nicht. Wo bleibt denn sonst der Spaß?“
  4. Wenn sich der medizinische Staff zu einer seiner kleinen Feiern im Casino versammelte, ging es meistens recht lebhaft zu. Doch diesmal war es besonders turbulent, denn Dackbad, Entack und Aiso hatten sich dazu gesellt. Der Ok’Ta, der Aurelianer und der Finne wetteiferten miteinander, indem sie wüste Beschimpfungen erfanden und sich diese gegenseitig an die Köpfe warfen. Anna versuchte derweil, der kleinen Elmag Bayrisch beizubringen, während Marcus sich lautstark mit Alice über die Vorzüge von Rösti gegenüber Käsespätzle stritt. Assjima wurde es irgendwann zu bunt und sie stand auf, um sich bei Tassadar an der Bar einen Schirmchencocktail zu bestellen und einen Augenblick Ruhe zu finden. In zwei Stunden würden sie den Subraumkanal verlassen um nur wenig später bei Gamma 7 auf das romulanische Schiff zu treffen. Sobald sie wieder im Normalraum sind, wollte sie Metaxa anrufen um mit ihr über ihre und Milis Urlaubspläne zu sprechen. Und sie würde endlich wieder mit Sam sprechen können … „Tassadar! Ich wollte doch einen Mochito“! „Das ist ein Mochito, Schätzchen“ brummte der Protoss. „Der hier ist blau!“ „Hast du was an den Augen, Doc? Kubanischer Syntohol-Rum, grüne Minze, grüne Limette … alles grün.“ Die Deltanerin starrte verwirrt auf das Glas mit seinem blauen Inhalt. „Aber …“ „Es ist alles in Ordnung mit deinen Augen, junge Frau.“ Assjima drehte sich ruckartig zur Seite. Neben ihr saß eine alte Frau in wollenem Jäckchen und knielangem Rock. „Dimede!“ Das faltige Gesicht der alten Frau verzog sich zu einem Lächeln. *** Wenig später stand die Ärztin in Tanrims Bereitschaftraum. Der Zakdorn saß hinter seinem Schreibtisch und lies die kleine Schachfigur zwischen seinen Fingern hin und her wandern, während Tenner am Türrahmen lehnte. „Dimede war im Casino und niemand außer dir hat sie gesehen? Müssen wir uns Sorgen um dich machen?“ Jeremys Gesichtsausdruck verriet deutlich, dass er diese Frage durchaus ernst meinte. „Ich weiß ja … das klingt wieder mal ziemlich verwirrt, aber …“ „Du brauchst dich nicht zu verteidigen, Assjima“ griff Tanrim ein. „Wir müssen akzeptieren, dass sich dieses Wesen nicht an die physikalischen Grundgesetze hält. Das haben Sie schließlich am eigenen Leib erfahren, Jeremy.“ „Ich wollte Assjima auch keinesfalls zu nahe treten. Doch mir erscheint das Ganze dennoch ziemlich merkwürdig. Du siehst blass aus, Doc.“ „Es ist der Subraum. Ich vertage den nicht besonders gut.“ „Und genau daran liegt es meiner Meinung nach, dass nur Assjima dieses Wesen wahrnimmt“ warf Tanrim ein. „Eine gewisse physische Instabilität macht es Dimede womöglich leichter, Zugang zu ihr zu finden.“ Tenner schüttelte den Kopf. „Ich muss zugeben, dass es mir schwerfällt, dies alles ohne wissenschaftliche Erklärung hinzunehmen. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass das Sternenflottenkommando diese Rettungsmission nur auf Basis dieser wenigen, äußerst wagen Hinweise überhaupt genehmigt hat.“ „Es gibt da ein paar Herrschaften in der Admiralität, denen Sie am Herzen liegen, Jeremy. Ich will hier keine Namen nennen. Doch es stand auf der Kippe. Diese Mission wurde als nicht ungefährlich erachtet. Zum Glück gibt es unter unseren Vorgesetzten noch mehr, die bereit sind, den unkonventionellen Gedanken und Ideen unserer Schiffsärztin ein offenes Ohr zu schenken.“ Tenner betrachte die Deltanerin nachdenklich. „Diese Vorstellung macht mir ehrlich gesagt Angst. Du bist dir im Klaren darüber, Assjima, dass die dich jederzeit die Karriereleiter hinauf schubsen und dich auf einen Posten versetzen könnten, den du vielleicht gar nicht haben willst?“ Bevor die Ärztin antworten konnte, hatte Tanrim sich erhoben und ihr die Hand auf die Schulter gelegt. „Es gibt Gerüchte über eine Funktion als Sonderbotschafterin oder einen Posten in ratgebender Funktion innerhalb der Admiralität. Doch egal, was die da oben planen … die müssen immer noch an mir vorbei. Ich werde nicht zulassen, dass du irgendwas machen musst, zu dem du dich nicht aus freien Stücken entscheidest.“ „Ich auch nicht. Du kannst dich auf uns verlassen, Assjima.“ Die Deltanerin warf den beiden Captains zwei lange, verwunderte Blicke zu. Dann räusperte sie sich. „Ihr beide seid wirklich rührend und ich werde euch beim Wort nehmen, wenn eine solche Situation irgendwann einmal wirklich eintreten sollte. Aber eigentlich bin ich ja hier, um euch auszurichten, was Dimede mir aufgetragen hat.“ Tanrim lachte und ging zurück zu seinem Sessel. „Nun denn, meine schöne Götterbotin … Was lässt die Gottheit ausrichten?“ „Nun …“ Assjima fuhr sich verlegen mit der Hand über den Kopf. „Sie lässt euch grüßen, gibt uns ihre besten Wünsche mit auf den Weg und bedankt sich für die tolle Geschichte.“ „Das ist alles?“ fragte Jeremy und starrte sie überrascht an. „Ja. Das ist alles. Ach, entschuldigt … das hätte ich beinahe vergessen: Sie wird ein Auge auf die Breen werfen. Die befinden sich wohl gerade in einer Umbruchphase, in der sie ein paar gute Ideen, Geschichten und vor allem Träume und Visionen brauchen könnten. Sie wird den richtigen Moment abpassen. Und uns dann mit Hilfe der Ok’Ta informieren.“ „Mit Hilfe der Ok’Ta?“ Tenners Augen wurden noch größer. „Das hat sie gesagt“ antwortete Assjima schulterzuckend. „Diese kleinen Rebellen könnten für die Föderation irgendwann vielleicht mal wirklich wichtig werden.“ „Davon bin ich absolut überzeugt“ lachte Tanrim. „Und sei es nur, dass sie mal wieder etwas Schwung in unsere steife Verwaltung bringen.“ „Darauf freue ich mich jetzt schon. Aber jetzt entschuldigt mich bitte. Da steht immer noch ein Mochito im Casino und wartet auf mich. Ich hoffe nur, dass der inzwischen wieder grün ist.“ Vor der Türe blieb sie stehen und drehte sich nochmal um. „Möchtet ihr beide nicht mitkommen? Die Stimmung war sehr gut, als ich gegangen bin. Und ich könnte mir vorstellen, dass die Crew sich freuen würde, wenn du, Jeremy, dich mal bei ihr blicken lassen würdest. Sie haben alle viel für dich und Aiso riskiert.“ Tenners Gesicht lief rot an. „Du hast Recht, Doc“ antwortete er beschämt. „Auf diese Idee hätte ich von alleine kommen sollen. Kommen Sie mit, Vartik?“ „Selbstverständlich!“ Der Captain wuchtete sich erneut aus seinem Sessel. „Eine nette kleine Party möchte ich mir keinesfalls entgehen lassen.“ Als die drei wenige Minuten später das Casino betraten, wurde es schlagartig still im Raum. Alle Augen richteten sich auf die Neuankömmlinge und Assjima betete insgeheim, dass sich Miki oder James zu einem lautstarken Kommentar hinreißen lassen würde um die gespannte Stille zu zerreißen und Tenner oder Tanrim vor einer improvisierten Ansprache zu retten. Doch nichts dergleichen passierte. Stattdessen watschelte eine kleine Ok’Ta auf die drei zu. „Ist alles in Ordnung, Assjima“ fragte sie leise. „Ja …“ „Gut. Ich wollte dir nur sagen, dass ich sie auch gesehen habe.“ „Wen?“ „Glonta … Dimede. Sie saß neben dir an der Bar.“ Und dann kam er, der erlösende Ausruf aus James Mund: „Alles klar, Captains? Das könnt ihr nun den Kollegen in der Admiralität erzählen: Unser Doc hat keinen Schuss weg! Die ist nur nicht ganz so blind wie wir. In meinem nächsten Leben will ich Deltaner werden. Dann sehe ich vielleicht auch mal eine echte Gottheit.“ „Was dir auf keinen Fall schaden würde, James. Vielleicht lernst du dann mal etwas in Sachen Ehrfurcht und Respekt, mein Freund“ antworte Assjima lachend. „Tassadar … eine Runde für alle. Auf Kosten des Captains.“ Sie drehte sich schmunzelnd zu ihren Begleitern um. „Halbe-halbe. Auf jeden der beiden Captains."
  5. Die USS Community kroch, geführt von den beiden Ok’Ta-Piloten, vorsichtig durch die desolaten Subraumkanäle auf dem Weg nach Gamma 7. Dackbad war vor ein paar Stunden eingetroffen und nutzte die Zeit, um sein Nestschiff im Hangar gründlich zu putzen. Bei Gamma 7 sollte die Community auf ein romulanisches Schiff treffen, welches den Auftrag hatte, den geretteten Piloten abzuholen. Tenner und Aisowaren endgültig aus der Krankenstation entlassen worden und Assjima saß in ihrem Büro, ohne so richtig zu wissen, was sie als nächstes unternehmen sollte. Der letzte Bericht war fertig getippt, es war kein Elijah da, der ihr irgendwelche mystischen Theorien unterbreitete. Keine Marla, welche die psychologischen Inhalte alter Geschichten analysierte. Kein James, der ihr neue Ideen aus der Crew erzählen wollte … sie hatten alle frei und schliefen oder hingen im Casino herum. Diese Ruhe auf der Krankenstation war ihr fast schon fremd geworden. Eigentlich konnte sie genauso gut Feierabend machen. Zumal ihr mangels Ablenkung der Flug durch den Subraumkanal einmal wieder zu schaffen machte und sich ein leichtes Unwohlsein in ihr ausbreitete. So stand sie auf, warf noch einen letzten Blick in den Raum, löschte das Licht und trat auf den Korridor. „Guten Tag, Doktor“ Assjima zuckte erschrocken zusammen und drehte sich um. Die kleine Elmag stand vor ihr und lächelte sie freundlich an. „Hallo Entack. Weist du schon, ob du noch bis zur Raumstation bei uns bleiben darfst oder musst du demnächst zurück zu deinem Nestschwarm?“ „Weder noch. Der Rat der Taxa hat nämlich beschlossen, dass Dackbad und ich die Ehre haben werden, die Ok’Ta bei den Vorbereitungen zu den Beitrittsverhandlungen zur Föderation zu vertreten. Euer Captain wird vermutlich demnächst den Befehl erhalten, uns direkt zur Erde zu bringen.“ Die Deltanerin starrte ihr Gegenüber einen Moment lang mit offenem Mund an. „Das sind ja tolle Neuigkeiten!“ Dann ging sie in die Knie und umarmte die Ok’Ta. „Ich freue mich wahnsinnig. Wir werden noch viel Zeit miteinander verbringen können und du wirst viele neue Dinge entdecken dürfen.“ „Ich bin auch schon ganz aufgeregt. Das wird richtig spannend! Und ich kann den Damen und Herren von der Föderation zeigen, dass die Ok’Ta nicht nur aus rüpelhaften Erpeln bestehen.“ Assjima lachte. „Oh ja – das würde uns nämlich keiner glauben, wenn wir nur mit Dackbad dort aufkreuzen würden. Hast du schon deinen zweiten Nachmittagsimbiss bekommen?“ „Nein. Ich war gerade auf dem Weg ins Casino. Möchtest du mich begleiten?“ „Ich würde dich lieber in mein Quartier einladen und dir etwas Anständiges kochen.“ „Was Deltanisches?“ Die Ärztin nickte. „Wenn du möchtest, dann sehr gerne.“ „Wunderbar. Dann lass uns gehen – ich habe mächtigen Hunger.“
  6. „Sechs Wochen, zwei Tag und 7 Stunden?“ Jeremy runzelte die Stirn. Assjima zuckte mit den Schultern: „Das ist es, was die Transporterscans sagen“ „Mir kam es wirklich nur wie eine Woche vor.“ „Aiso hatte etwa 4 Wochen geschätzt.“ Die Deltanerin saß im Schneidersitz auf dem Sofa und betrachtete Tenner. Es war im gut gegangen in dieser kleinen Welt. Das konnte sie ihm deutlich ansehen. „Die viele frische Luft, das einfache Leben … es hat dir gefallen, nicht wahr?“ „Ja. Wir hätten es schlechter treffen können. Wir stehen tief in Dimedes Schuld.“ „Ich denke, dass sie mehr bekommen als gegeben hat. Von dieser Geschichte wird sie lange zehren können. Wir haben für sie einen neuen Heldenepos geschaffen, den sie viele Male erzählen kann.“ „Zu welchem Zweck?“ „Um andere Völker zu inspirieren.“ „Was könnten die denn aus dieser Geschichte lernen?“ „Das werden wohl zukünftige Generationen bewerten müssen.“ Tenner lachte. „Assjima – ich nehme dir nicht ab, dass du und dein langhaariger Kumpel Elijah nicht schon längst eure Schlüsse gezogen habt.“ Die Ärztin stand auf und ging zu ihrer kleinen Küchenzeile hinüber, auf der eine Kanne stand und still vor sich hin dampfte. Mit einstudierten, ja beinahe rituell wirkenden Bewegungen filterte sie den Tee ab und goss ihn in zwei feine, schlichte Tassen. Sie reichte eine davon dem Captain und setzte sich wieder hin. „Es war einmal … vor langer, fast vergessener Zeit … eine Gruppe Reisender, die sich auf ihrem Schiff durch Zeit und Raum bewegten. Durch die unendlichen Weiten, auf der Suche nach neuen Welten, neuen Völkern, getrieben von ihrem Durst nach Wissen, nach Erkenntnis, nach Abenteuern. Auf der Suche nach ihren Göttern, ihrem Schöpfer … Vielleicht wird ihre Geschichte so beginnen.“ „Ich habe nie nach meinem Schöpfer gesucht.“ „Ich weiß, Jeremy“ schmunzelte die Deltanerin. „Aber es wird Dimede sein, die diese Geschichte in Umlauf bringen wird. Und ihre Helden suchen immer die Anderswelt. Du suchst nach Wissen. In ihrer Interpretation wird die Suche nach Wissen zur Suche nach Erkenntnis und somit zur Suche nach dem Göttlichen.“ „Die Suche nach ihr selbst?“ „Das glaube ich nicht. Dimede mag auf uns wie ein göttliches Wesen wirken, aber ich denke nicht, dass sie sich selbst so sieht. Sie ist diejenige, welche den Impuls gibt. Und sie lenkt ein wenig durch ihre Ideen, die sie in Form von Geschichten weiter gibt. Doch was die Völker daraus machen … darauf nimmt sie keinen Einfluss.“ „Aber ich vermute, dass sie das durchaus könnte.“ „Davon gehe ich aus. Sie könnte ihre Kinder … ihre Töchter Zeit, Raum und Materie, ihre Söhne … die vier Grundkräfte der Physik … Sie könnte sie wohl innerhalb bestimmter Grenzen beeinflussen.“ „Sie könnte also göttliche Strafen senden“ brummte der Captain. „Sintfluten, Stürme, Erdbeben …“ „Vermutlich sogar Kröten, die vom Himmel regnen. Wenn sie ihre Kinder von einer solchen Idee überzeugen könnte. Und wenn sie es wollte. Aber ich glaube nicht, dass sie sie so etwas jemals gewollt, geschweige denn sich ausgedacht hätte. Sie interessiert sich nur für das, was die Völker aus ihren Geschichten und Ideen machen. Man kann ihr Wohlwollen gewinnen. Dann hilft sie vielleicht. Aber sie richtet nicht. Gaia, die große Mutter bestraft nicht. Die Leute müssen die Suppe, die sie sich eingebrockt haben meistens selber auslöffeln.“ „Womit haben wir ihr Wohlwollen gewonnen? Wir glaubten nicht einmal an sie.“ „Taten wir das nicht? Jeder Vertreter der unterschiedlichen Spezies hier an Bord kennt eine große Mutter aus seiner eigenen Mythologie.“ „Zwischen kennen in Form von mal von ihr gehört zu haben und an sie glauben liegt ein großer Unterschied.“ Jeremy nahm einen Schluck Tee und stieß ein leises Zischen aus. „Verdammt … was ist das für ein Tee? Der ist himmlisch!“ „Schwarztee mit Bergamotte … sprich: Earl Grey. Siehst du: Du warst ein paar Wochen weg und hast vergessen, wie ein richtiger Earl Grey schmeckt, der nicht aus dem Replikator kommt. Ich habe dich nur daran erinnert. So ist es auch mit der großen Mutter.“ „Du meinst, dass sie sich nur in Erinnerung rufen musste, damit wir wieder an sie glauben?“ „Ja. Wir leben in einer schnellen Zeit, reisen mit Lichtgeschwindigkeit, erfahren täglich von neuen technischen Errungenschaften, jeder Tag bringt neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Und wir vergessen nur zu schnell unsere Wurzeln, unsere Mythen, unsere Legenden. Wir wollen wissen, nicht einfach nur glauben. Doch Glauben und Wissen muss sich nicht widersprechen. Im Gegenteil: sie ergänzen sich. Wir sollten in unserem Leben Platz für beides einräumen. Das wird vermutlich die Idee sein, die Dimede in Zukunft mit unserer Geschichte einpflanzen möchte.“ „Tanrim, der einfache Captain eines Sternenschiffes setzt sich gegen ein wissenschaftlich-technisch geprägtes Imperium durch, nur aufgrund einiger Ahnungen, Visionen, Hoffnung und dem unerschütterlichen Glauben daran, dass seine Freunde noch am Leben sind, weil sie von irgendeiner vergessenen Gottheit gerettet wurden.“ „Und diese Gottheit hat nur eingegriffen, weil diese Freunde in Gefahr geraten sind, während sie andere, ihnen persönlich vollkommen fremde Leute retten wollten. Wir haben damals ihr Mitgefühl geweckt. Sie hat geholfen so gut sie konnte. Ohne die Hilfe ihrer Kinder hat sie in diesem Augenblick das getan, was in ihrer Macht lag, indem sie der Materie den richtigen Impuls gab und so eine kleine Welt entstand, auf der ihr überleben konntet. Doch den Rest mussten wir größtenteils alleine bewältigen. Sie konnte uns nur in der Hoffnung bestärken, dass unsere Unternehmungen nicht sinnlos seien und dass wir weiterhin mit ihrer Unterstützung rechnen durften. Wenn Tanrim nicht den Mut aufgebracht hätte, den Transporter wider besseren Wissens einzusetzen …“ „… würden wir immer noch auf der kleinen Welt sitzen. Und vermutlich hättet ihr nie einen wissenschaftlich kalkulierbaren Weg gefunden.“ „Vielleicht irgendwann. Aber der Nebel verändert sich ständig und laut den Ok-Ta hätte es sehr lange gedauert, bis seine Konstellation wieder ähnlich passend gewesen wäre.“ Jeremy nickte nachdenklich. „Eine eigentümliche Situation. Apropos Ok-Ta. Wann wollte Dackbad kommen und seine Leute sowie die Elmag abholen?“ „In einer knappen Stunde.“ „Dann lass uns die Zeit nutzen und etwas essen. Begleitest du mich ins Casino, Doc?“ „Selbstverständlich, Captain.“
  7. Eigentlich sollte Miki seinen Dienst auf der Sekundärstation erst in einer Stunde antreten, doch die Vorfreude ließ ihn lange vor dem Wecksignal aus dem Bett klettern und im Laufschritt in Richtung Primärstation sausen. Tatsächlich hatte ihn sein Gefühl nicht getäuscht: Aiso saß aufrecht in seinem Biobett und plauderte mit Meg, während sich Tenner, Tanrim und der erste Offizier in Assjimas Büro zurück gezogen hatten. „Hej Goldkehlchen! Hast du endlich ausgeschlafen?“ „Oh je – das finnische Schandmaul! Haben sie dich noch immer nicht auf irgendeinem einsamen Planeten ausgesetzt?“ „Ach halt doch deinen krummen Schnabel, du Federbüschel! Perkele – du siehst aber Scheiße aus. Wer hat dich denn gerupft?“ „Vermutlich der dämliche Transporterchief. Kann es sein, dass du fetter geworden bist? Oder hast du dir Schwimmreifen unter dein Hemd gestopft?“ „Die Synapsen in deinem haselnussgroßen Hirn sind wohl irgendwie falsch geschaltet. Dein Sichtfeld scheint verzerrt zu sein.“ Miki stand vor dem Bett und grinste den goldgelben Hünen breit an. Dann schlang er die Arme um den Freund: „Saatani, bin ich froh, dich wieder hier zu haben!“ „He he … wehe du fängst jetzt an, mich abzuknutschen!“ Doch dann erwiderte er die Umarmung so fest, dass dem Finnen beinahe die Luft wegblieb. Angesichts so viel männlicher Herzlichkeit, hatte Meg beschlossen, den Rückzug anzutreten und schob Miki den Hocker hin, auf dem sie eben noch gesessen hatte. Der Finne nahm etwas atemlos ihren Platz ein. „Erzähl mal. Was war da bei euch los? Man sagt, Tenner sei der Ansicht gewesen, dass ihr nur eine Woche weg gewesen seid.“ „Tja … irgendwie ist das schwer einzuschätzen, weil die Sonne gemacht hat, was sie wollte. Mal schien sie nur drei Stunden lang, mal über zwanzig. Aber ich würde sagen, dass der Captain mit seiner Einschätzung untertreibt und tippe eher auf einen Monat. Ich kann irgendwie noch gar nicht glauben, dass es in eurer Welt mehr als sieben Monate gewesen sein sollen.“ „Wir können das nachher mal genauer prüfen. Ich mache einen Scann von euch und vergleiche die Daten mit den Aufzeichnungen des letzten Transportvorgangs vor eurem Unfall. Anhand des Zellverfalls lässt sich ziemlich genau berechnen, um wie viele Tage, Wochen oder Monate eure Körper tatsächlich gealtert sind. Aber … wie war es da, in eurem Subraumknoten? Oder was immer das gewesen sein mag.“ Aiso seufzte leise. „Das ist gar nicht so leicht zu erklären. Es war seltsam, irgendwie sogar surreal. Diese Welt war sehr klein. Man konnte sie in zwei Tagen zu Fuß umrunden. Alles war so beschaffen, dass sich jeder von uns ständig an seine Heimat erinnert fühlte. Ich habe keine logische, beweisbare Erklärung dafür, denn wir kommen doch alle drei aus vollkommen unterschiedlichen Welten. Aber ich glaube, dass jemand unsere Erinnerungen gelesen, die Gemeinsamkeiten herausgepickt und daraus diese winzige Welt für uns geschaffen hat. Es gab keinen Luxus, aber es war alles da, was wir brauchten um nicht nur überleben zu können, sondern um zu leben. Wir hätten dort noch sehr lange ausharren können, ohne in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten.“ „Es musste vermutlich schnell gehen … sie konnte euch nicht lange im Subraum halten …“ murmelte Miki. „Von wem redest du?“ „Glonta … Dimede … ich glaube, dass ihr Aurelianer sie als Klum-Sa kennt.“ Aiso nickte. „Ihr glaubt also auch, dass Klum-Sa uns gerettet hat?“ „Ich denke, dass wir über das Stadium des Glaubens hinweg sind. Es fühlt sich jetzt eher wie Wissen an. Nur lässt sich nichts beweisen.“ „Assjima?“ „Natürlich. Wer sonst kann denn Glauben in Wissen wandeln … und selbst Vulkanier davon überzeugen. Sie hatte immer wieder seltsame Begegnungen. Mit Dimede und ihren Töchtern. Nur sie konnte sie sehen und hören … aber so bekam sie Informationen, die uns weiterhalfen.“ Miki zögerte. „Nein, das waren nicht wirklich Informationen. Es waren Bruchstücke … Ideen, Hinweise, Rätsel. Doch irgendwie fügten sie sich zusammen und zum Schluss reichte dies dem Captain wohl aus, um es mit dem Transporter zu versuchen. Perkele, Aiso! Ich kann dir das nicht erklären. Weil ich es einfach nicht kapiere. Elijah – der hat den ganzen Kram durchschaut. Den musst du fragen! Ich weiß nur, dass es mit intelligenter Materie zu tun hat. Aban hat es uns erklärt. Und Dimede war der Geist, der den Anstoß gab.“ „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir folgen kann.“ „Ich kann mir selber nicht folgen. Es muss wohl irgendwie so abgelaufen sein: ihr saust in den Subraumspalt und euer Shuttle explodiert. Dimede ...“ „Klum-Sa?“ „Ja … meinetwegen auch Klum-Sa. Die wohnt in dem Nebel, beobachtet euch, holt euch irgendwie aus der Explosion, stopft euch in ein Zwischenlager, liest eure Gedanken und erschafft in Windeseile eine notdürftige Welt, in der sie euch absetzen kann. Dazu benutzt sie vermutlich intelligente Materie. Dann nimmt sie Kontakt mit Assjima auf … dem Wesen an Bord, von dem sie vermutet, dass es ihr am ehesten zuhören würde. Und dem die anderen zuhören. Das Problem ist nur: Dimede … ich meine Klum-Sa … hat keine Ahnung von unseren Technologien. Sie hatte wohl auch keine Idee, wie wir euch aus diesem Subraumknoten, in dem eure kleine Welt versteckt war, wieder herausholen sollten. Ihre Welt besteht aus Geschichten. Sie lebt sogar von ihnen. Sie brauchte unsere Phantasie um uns helfen zu können. Und ein klein wenig technisches Wissen, um unsere Phantasien verstehen zu können. Also hat sie Spione ausgeschickt. Eine ihrer Töchter, einen oder zwei von ihren Söhnen. Einer von den Typen hat Kentan in Sachen Transporter befragt. Aber ich glaube, dass der schon vorher mal auf dem Schiff gewesen sein muss, denn davor hat sie mit Hilfe von intelligenter Materie einen Transporter nachgebildet und ein Padd an Bord gebeamt. Das reichte natürlich nicht aus, um euch zurück zuschicken. Aber es war dem Captain genug, um es zu wagen. Nachdem Dimede unseren Doc mit Geschichten vollgestopft hat, die von Helden handeln, die den Mut und den Glauben haben, das Wagnis einzugehen. Vielleicht war es auch nicht Dimede, die Assjima vollgestopft hat, sondern Elijah. Oder Sid … James und Marla hatten auch noch die Finger im Spiel … ich habe den Überblick verloren. Irgendwas war auch noch was mit den Gelpacks und diesem Padd … Ist auch egal. Es läuft alles darauf hinaus, dass wir die Suche nach Wissen und Beweisen durch Glauben und Zuversicht ersetzen sollten, um uns als Gruppe, angeführt von einem Helden mit Faltengesicht, auf den Weg in die Anderswelt zu begeben. Mit Gottvertrauen und Zuversicht mutig den gefährlichen Weg beschreiten und die eigenen Perspektiven verändern. Eine Heldengeschichte, die noch viele Generationen später erzählt wird. Eine Geschichte, die Dimede gefällt und von der sie zehren kann.“ „Verdammt – das ist echt cool!“ bemerkte Aiso mit einem breiten Grinsen. „Cool? Das war irre stressig! Hier wurde wochenlang nur von Mythen und irgendwelchen Gottheiten gelabert. Noch ein paar Tage länger und wir wären vermutlich alle in irgendwelchen höheren geistigen Sphären verpufft." Das Lachen in Aisos Gesicht wurde breiter: „Ich stelle mir dich gerade als barfüßigen Mönch in orangener Kutte vor.“ „Du bist ein solcher Vollpfosten!“
  8. Als sich Megs kleine, dunkle Hand sanft auf Assjimas Schulter legte, schreckte diese aus dem Schlaf. Auf ihrer Wange war der Abdruck des Padds zu sehen, über dem sie am Schreibtisch sitzend eingeschlafen war. „Ist was passiert?“ „Es ist alles gut, Doc. Aber ich glaube, der Captain wacht jeden Moment auf.“ „Danke, Meg.“ Assjima ließ knackend die verspannten Schultern kreisen und ging hinüber zu den Biobetten, auf denen ihre drei Sorgenkinder lagen. Das medizinische Team hatte einige Stunden harter Arbeit hinter sich. Sie hatten alles getan, was zu diesem Zeitpunkt getan werden konnte. Die Ärztin war sich sicher, dass keine langfristigen körperlichen Schäden bleiben würden. Doch über die seelischen Auswirkungen konnte sie keine Aussage machen. Das würde sie den Sternenflottenpsychologen überlassen müssen. Mit vor Müdigkeit noch immer brennenden Augen studierte sie die Anzeigen der Überwachungssensoren. Aiso und der romulanische Pilot lagen noch immer im heilenden Tiefschlaf. Die Augenlieder der Captains zuckten jedoch in unregelmäßigen Abständen und ein leises Piepsen der Geräte deutete an, dass er dabei war, das Bewusstsein wieder zu erlangen. Sie setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett und nahm sanft seine Hand in die ihre. Als sie sein Gesicht studierte, stellte sie überrascht fest, dass er sich nicht verändert hatte. Nur war die Haut ein wenig dunkler geworden, mit einem Hauch Rot: die simplen Anzeichen eines leichten Sonnenbrands. Keine Wunden, keine frisch verheilten Narben, keinerlei Zeichen von Auszehrung. Wenn Sie es nicht besser gewusst hätte, wenn sie und ihr Team nicht zwei Stunden lang gegen die inneren Auswirkungen eines Beamvorgangs gekämpft hätten, die darauf basierten, dass zwei nicht 100%ig aufeinander abgestimmte Transporter-Technologien miteinander arbeiten mussten, wenn sie nicht einen langen, anstrengenden und gefahrvollen Flug hinter sich gebracht hätten, wenn sie nicht immer und immer wieder die Mythologien tausender Völker durchforstet hätten, wenn sie nicht über Monate hinweg immer wieder zu Besprechungen und Befragungen im Sternenflottenkommando hätte antanzen müssen, wenn sie nicht bei diesem Kampf dabei gewesen wäre, in dem das Shuttle in der Subraumspalte spurlos verschwunden war, wenn sie und Jeremy sich nicht vor dessen Abflug noch gegenseitig Glück gewünscht hätten … wenn sie es also nicht besser gewusst hätte, so hätte man glauben können, er sei gerade eben erst von einem kurzen Strandurlaub zurück gekommen. Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und versuchte, ein paar seiner Gedankenbilder zu erhaschen. Doch sah sie anfangs nur endloses, tiefes Blau, das sich nach ein paar Minuten zu lichten begann. Eine schemenhafte Figur bildete sich heraus. Die Konturen wurden schärfer, das Blau verflüchtigte sich, ging in Weiß über. Dann schaute sie plötzlich in ihr eigenes Gesicht. Sie öffnete überrascht die Augen. Jeremy lächelte verzagt: „Hallo Assjima.“ Jetzt ging es nicht mehr. Eine zentnerschwere Last, die über Monate hinweg jeden Tag etwas schwerer zu werden schien, zerbarst, das Herz machte einen gewaltigen Sprung, die Lungen füllten sich endlich wieder mit Luft … und nicht nur die inneren Dämme brachen. Schluchzend presste sie seine Hand an ihre tränenüberströmte Wange. Während sie immer noch um Fassung rang, kam Meg herbei geeilt, warf einen prüfenden Blick auf die Biobett-Anzeigen und ergriff dann die andere Hand des Captains. „Willkommen zurück, Captain! Sie glauben gar nicht, wie froh wir sind, Sie drei wieder an Bord zu haben.“ „Danke Fähnrich Harrison. Ich bin auch froh, wieder hier zu sein.“ „Lieutenant, Captain. Ich bin befördert worden!“ Die Krankenschwester zeigte stolz auf den zweiten Pin an ihrem Kragen. „Eine Beförderung? Ich gratuliere, Meg.“ Doch dann breitete sich Verwirrung auf seinem Gesicht aus. „Wer hatte denn Zeit, sich inmitten der Kampfhandlungen um eine Beförderung zu kümmern?“ „Kampfhandlungen?“ Jetzt war es an Meg, verwundert drein zu blicken. Assjima hatte sich inzwischen wieder ein wenig gefangen. „Jeremy … wie lange seid ihr weg gewesen?“ „Ich weiß nicht … der Tag-Nachtzyklus war dort anders, aber ich würde mal schätzen … vielleicht eine Woche …?“ Meg und Assjima warfen sich einen vielsagenden Blick zu. „Nun ja …“ stotterte die Ärztin. „Bekomme jetzt bitte keinen Schreck, aber es waren in Wirklichkeit … etwas über sieben Monate.“ Der Captain richtete sich ruckartig auf, lies sich dann aber gleich wieder mit schmerzverzerrtem Gesicht auf das Kissen zurück fallen. „Sieben … Monate? Wie … ist das … möglich?“ Die Deltanerin legte ihm beruhigend die Hand auf die Brust. Ein warmes Kribbeln breitete sich über seinen Körper aus und er atmete entspannt durch. „So genau können wir das noch nicht erklären“ begann die Ärztin zu erläutern. „Aber ihr habt euch wohl in einem anderen Raum, einer anderen Dimension befunden.“ „Sieben Monate!“ stöhnte Tenner leise. „Konnten wir … ihr … die Gefangenen befreien?“ „Ja. Die Mission wurde erfolgreich beendet. Wir konnten alle Lager auflösen, haben Tausende nach Hause gebracht und einen ersten, zaghaften Frieden mit den Breen in die Wege geleitet. Milseya ist derzeit als Botschafterin im Breenraum. Wir haben allen Grund zur Hoffnung.“ „Mission erfolgreich beendet und Frieden mit den Breen … es war nicht umsonst …“ „Ja. Nichts war umsonst. Es wird ein gutes Ende nehmen. Jetzt, wo wir euch endlich zurück holen konnten.“ Erneut flossen ein paar Tränen über Assjimas Gesicht. Sie wischte sie zaghaft mit der freien Hand weg. „Entschuldige bitte … wir hatten uns nur solche Sorgen gemacht …“ „Dich weinen zu sehen … ich kann mich nicht daran erinnern, das schon einmal erlebt zu haben“ antwortete Tenner nachdenklich. „Ihr müsst eine harte Zeit hinter euch haben.“ Er schloss die Augen. „Du musst mir davon erzählen … alles … ich will es genau wissen … sieben Monate …“ „Versprochen. Wir haben auf der Heimreise alle Zeit der Welt. Aber jetzt musst du schlafen.“ „Aye, aye Doktor“ murmelte der Captain leise. „Frühstücken wir später zusammen?“ „Ja. Das ist eine schöne Idee.“ Assjima blieb noch ein paar Minuten sitzen, bis Tenner eingeschlafen war. Dann stattete sie Tanrim einen Besuch auf der Brücke ab, um Bericht zu erstatten. Wenig später lag sie in ihrem eigenen Bett und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
  9. Ein Teil – nun ja: der größte Teil der medizinischen Crew - saß im Casino um einige zusammengeschobene Tische und wirkte insgesamt etwas ratlos. „Intelligente Materie … was zum Teufel soll das sein?“ fragte Ace und stocherte in seinem Milchreis. James zuckte mit den Schultern. „Wenn Serik noch leben würde, könnte er uns das bestimmt erklären. Elijah … sie hat es dir doch erläutert.“ „Ich bin Anthropologe, kein Quantenphysiker. Und ich muss verdammt noch mal nicht alles kapieren, was dem Kopf unserer Chefin entspringt.“ „Sieh mal an. Unser Schlaumeier hat ausnahmsweise mal keine Antwort.“ Meg lehnte sich grinsend zurück. „Wir könnten die Kollegen in der Wissenschaft fragen.“ „Und zugeben, dass wir mal wieder nichts kapieren?“ brummte Hank, der nach seiner Nachtschicht noch immer etwas verschlafen wirkte. „Mir würden sie das ja abnehmen, aber Alice und Elijah? Die würden doch denken, wir wollen sie verscheißern.“ „Ähm …“ Hank überhörte geflissentlich das wiederholte Räuspern des jungen Angosianers. „Sollen wir in die Tertiärstation gehen und das MHN aktivieren? Der Photonenbursche kann bestimmt Licht in die Sache bringen.“ „Und uns die nächsten drei Stunden von ihm die Ohren abkauen lassen?“ Meg schüttelte sich. „Wo steckt eigentlich der Rüütli?“ „Hat sich unter Vinaras Astralscanner geklemmt um ein paar Modifikationen vorzunehmen“ mümmelte Ace mit vollem Mund. „Er meint, dass wir das olle Ding vielleicht demnächst mal wieder brauchen könnten. Keine Ahnung, der diesmal das Opfer sein soll.“ „Zum Glück bin ich keine Telepathin“ „Du kriegst auch so alles raus, Meg.“ Ein Milchreiskörnchen flog über den Tisch und landete auf Abans Schulter. „Sorry, Kleiner.“ „Macht nichts“ antwortete der Angosianer und wischte sich des klebrige Teilchen vom Hemd. Endlich hatte er die Aufmerksamkeit, um die er sich seit ein paar Minuten bemühte. „Ich kann euch vielleicht erklären, auf was Assjima hinaus will.“ *** Assjima stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor dem Fenster in ihrem Büro und starrte auf das prachtvolle Farbenspiel des Nebels. “Du bist wunderschön, mein Freund. Aber was bist du? Eine Wolke aus einer interessanten Gasmischung? Ein denkendes, empfindendes Wesen? Oder nur das Wohnzimmer einer Gottheit?“ Langsam ließ sie sich im Schneidersitz auf den Boden nieder und schloss die Augen, um sich in ihren inneren Raum zu begeben. *** Aban griff in den Brotkorb, angelte zwei Stücke weiches Weißbrot heraus und hielt sie hoch. „Zwei Stücke aus dem gleichen Stoff. Sie sehen auch ziemlich gleich aus.“ Er puhlte aus beiden Scheiben das weiche Innere heraus und formte es zu zwei gleichmäßigen Kügelchen. „Jetzt ähneln sie einander noch mehr. Zwei Kugeln aus ein und demselben Teig.“ Er reichte je eine Kugel an Meg und eine an Hank. „Knetet doch mal was Nettes draus.“ Meg machte sich sofort an ihre Aufgabe und ließ ein kleines Männchen entstehen. Hank drehte das Kügelchen zwischen Daumen und Zeigefinger. „Das ist doch doof … sind wir im Kindergarten?“ „Mach einfach … irgendwas.“ „Na ja …“ Er drückte die Kugel ungeschickt zu einem herzförmigen Etwas. „Reicht das dir?“ „Ja, klar! Ist prima.“ Aban schnappte sich beide Figuren und hielt sie hoch. „Meg … warum hast du ein Männchen geformt? Stellt es jemanden dar?“ „Es könnte Ford sein … okay, ist vielleicht ein wenig zu dünn.“ „Aber du hast an ihn gedacht, als du es geknetet hast?“ „Ja.“ „Gut. Dann ist er es auch.“ „Aber der sieht doch nicht im geringsten aus wie dein Macker“ meldete sich James zu Wort. „Muss er auch nicht. Es ist eine ideoplastische Figur.“ „Eine was?“ „Die plastische Darstellung einer Idee. Der Idee von Megs Gatten. Es ist eine abstrakte Figur.“ Aban betrachtete nun das unförmige Werk aus Hanks Fingern. „Unschwer als Herz zu erkennen. Warum hast du ein Herz gebildet?“ „Keine Ahnung. Ist mir spontan eingefallen.“ „Hast du dabei an jemanden Bestimmten gedacht?“ Hank lief rot an, während er antwortete: „Neeeeeee … einfach nur so.“ Meg begann zu kichern „Hank ist verliebt!!! Wer ist die Glückliche?“ „Gar nicht wahr!“ ereiferte sich der Sanitäter lautstark. „Und wenn es so wäre, so würde dich das gar nichts angehen!“ Während Meg immer noch kicherte, griff Aban erneut ein. „Hank hat einem Gefühl Ausdruck verliehen. Entweder er ist verliebt, oder er sehnt sich nach Liebe oder er wünscht sich Liebe und Freundschaft überall im ganzen Universum. Was auch immer … das Herz als Symbol für die Idee der Liebe.“ Er legte beide Figuren vorsichtig vor sich auf den Tisch. „Schaut sie euch genau an. Zwei Ideen, die unterschiedlicher nicht sein können. Doch sie sind aus demselben Teig geknetet. Aus einem Teig, der vorher nur die Funktion hatte, den Magen irgendeines Crewmitgliedes zu füllen. Ihr habt mit etwas Banalem, Leblosen, Unwichtigem jeweils eurer eigenen Idee zu einer Form verholfen.“ *** „So wirst du sie nicht finden.“ Assjima schreckte aus ihrer Mediation. Zsa Zsa Gabor saß auf dem Schreibtischstuhl und hatte die Beine auf den Tisch gelegt. „Sie kommt selten, wenn sie gerufen wird. Das Unerwartete macht ihr mehr Spaß.“ „Das scheint bei euch in der Familie zu liegen“ murmelte Assjima und rappelte sich hoch. Zsa Zsa lachte, wobei ihr Fuß eines der auf dem Schreibtisch liegenden Padds auf den Boden stieß. „Du bist also schon etwas weiter gekommen. Das wird sie freuen. Rätsel bereiten ihr ebenfalls große Freude.“ „Von denen hat sie uns ja wirklich mehr als genug aufgegeben.“ „Eine jede gute Geschichte braucht das Rätselhafte. Der wahre Held ist nicht nur mit Mut und Kraft ausgestattet. Er muss auch klug sein, um die Prüfungen bestehen zu können.“ Assjima kniff die Augen zusammen. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. „Prüfungen? Ihr unterzieht uns einer Prüfung?“ „Mir fällt gerade kein anderes passendes Wort ein. Einen Weg zu finden, wie ihr eure Freunde retten könnt … ist das keine Prüfung?“ „Eher eine Aufgabe. Eine Mission. Eine Prüfung wäre es nur dann, wenn wir von jemandem beobachtet und beurteilt werden. Prüft ihr uns?“ Zsa Zsa schüttelte den Kopf. „Nein … wir beobachten nur um herauszufinden, wie wir euch helfen können.“ „Dann aktiviert wieder diesen Transporter, den ihr im Nebel geschaffen habt.“ „Den habt ihr geschaffen. Materielles ist nicht unsere Welt.“ „Du und deine Schwestern … Zeit, Raum und Materie … du willst doch nicht ernsthaft behaupten, ihr könntet nicht auf das Materielle einwirken?“ „Nicht ohne Plan.“ „Ihr wirkt allerdings nicht sonderlich planlos. Dein Bruder … war es Lux? … hat sich also hier umgeschaut um an technische Informationen für einen Transporter zu gelangen?“ „Ich bin nicht über die Aktivitäten der Jungs informiert.“ „Sollt ihr sie nicht kontrollieren?“ „Sie lassen sich nicht kontrollieren.“ „Zeit, Materie und Raum können die vier Grundkräfte der Physik nicht kontrollieren? Das glaube ich nicht, Dimede.“ *** „Meg … erzähle mir eine Geschichte zu deiner Figur. Etwas, was sehr typisch ist für deinen Mann.“ Die Afrikanerin setzte ein breites Grinsen auf. „Ihr wisst ja, dass er Holoromane schreibt. Immer wenn ein neues Kapitel fertig ist, speichert er es im Holodeck ab, um es sich etwas später in Ruhe anschauen und korrigieren zu können. Mein jüngster Bruder hat sich irgendwann einmal daran zu schaffen gemacht, um Ford einen Schrecken einzujagen. Inmitten einer ungemein schnulzigen Liebessehne tauchte auf einmal ein riesiges Monster auf und jagte das Liebespaar auseinander. Ford hat beinahe einen Herzinfarkt bekommen. Aber dann hat ihm diese Szene so gut gefallen, dass er die ganze Geschichte umschrieb, um dem Monster eine logische Rolle in dem Roman zu geben. Der Roman wurde ein Riesenerfolg.“ Aban schmunzelte. „Er ist also kritikfähig, innovativ und immer bemüht, sein Werk zu verbessern.“ „Ja – das ist er.“ „Danke, Meg. Hank … was kannst du zu deinem Herzchen erzählen?“ „Es ist etwas unförmig …“ brummte der Sanitäter. „So wie die Liebe eben ist. Nicht glatt, nicht ebenmäßig … mal so und mal so … nie ideal, aber es ist immerhin die Liebe. Auch wenn sie hier eine Delle hat und die eine Hälfte größer ist als die andere. So ein fertig repliziertes Herz, das total gleichmäßig ist … das ist langweilig. Dieses hier hat Charakter.“ Der junge Mediziner schmunzelte. „Und jetzt, meine Freunde … schaut sie euch noch mal an, diese beiden Figuren. Sind es immer noch dieselben banalen Brotteigklumpen wie zuvor?“ *** „Was hat mich verraten?“ Dimede nahm die Füße vom Tisch und setzte sich gerade hin, während sich das Gesicht des Donauweibchens zu dem der betazoidischen Nixe wandelte, dass Assjima und Elijah geschaffen hatten. „Deine Tochter spricht anders. Normaler, weniger mysteriös, bodenständiger. Und sie materialisiert sich nur in meiner Phantasie. Ein Padd vom Schreibtisch stoßen … das kann sie nicht. Du hingegen schon.“ Die Ärztin bückte sich und hob den Datenträger auf. *** „Nnnnein“ stotterte James. „Das ist die Liebe und es ist Ford … komisch …“ „Aber es ist immer noch brotdumme Materie, oder?“ James kratzte sich am Kopf. „Die Figuren erzählen uns jetzt was …“ „Der Brotteig besteht bei beiden Figuren aus den gleichen Elementen … nennen wir sie Brotteigmoleküle. Das einzige was diese beiden Anhäufungen von Brotteigmolekülen unterscheidet ist die Art und Weise der Anordnung. Anordnung ist Information. Meg und Hank haben den Brotteigmolekülen die Informationen gegeben, die nötig waren um aus einem Brotteigkügelchen die Liebe und Megs Ehemann zu schaffen. Nun … wir können bei diesen Brotteigmolekülen noch nicht von intelligenter Materie sprechen, weil es Meg und Hank waren, die dem Brotteig die nötigen Informationen gegeben haben. Aber stellt euch nun vor, Meg und Hank wären nicht eure Freunde, sondern physikalische Kräfte, die den Brotteigmolekülen die nötigen Informationen geben um die Form eines Herzens anzunehmen. Gravitation, Wechselwirkung … was auch immer. Dann habt ihr die beiden Figuren, aber es fehlt noch die Geschichte dazu.“ „Scheiße!“ James sprang so ruckartig auf, dass ein Stuhl nach hinten kippte und polternd auf den Boden krachte. Die Blauhemden von der Wissenschaftsabteilung am Nebentisch sahen sich erschrocken um, um sich dann wieder ihrem eigenen Gesprächsthema zuzuwenden. „Ich glaub, ich hab‘s kapiert.“ *** Als Assjima wieder aufblickte, war die Gestalt verschwunden. Nur ihre Stimme schwebte noch in der Luft. „Ihr seid nahe dran. Das wird eine gute Geschichte. Eine, die ein glückliches Ende verdient.“
  10. „Es ist Ihre Phantasie? Hat sie das wirklich so gesagt?“ Assjima hörte ganz deutlich ein kratzendes Geräusch, als Elijah sich mit der Hand über das Kinn mit dem struppigen Dreitagebart fuhr. Er sah müde aus. Vermutlich vergrub er sich in jeder Minute, in der er nicht auf der Krankenstation benötigt wurde, in seine Bücher. „Ja. Das hat sie gesagt.“ „Verdammt! Warum kann hier niemand Klartext reden? Die Ok’Ta wissen doch mehr als sie sagen.“ „Nicht die Piloten. Aber Entack.“ „Und warum lässt sie uns an ihrem Wissen nicht teilhaben? Sie plaudert doch sonst so gerne.“ „Weil sie eine von meinem Schlag ist. Sie ist nicht nur eine Wächterin des Eischwarms. Sie ist eine Priesterin.“ „Das ist vielleicht eine Erklärung, aber keine Entschuldigung.“ „Sie braucht keine Entschuldigung, denn ich glaube, sie hat uns alles gesagt, was nötig ist.“ „Worauf wollen Sie hinaus, Assjima?“ meldete sich nun Marla zu Wort, die auf Assjimas Schreibtischstuhl saß und Scans des Nebels auf dem Monitor studierte. „Max Planck, 1944 in Florenz. Als er in seinem Vortag behauptete, es gäbe keine Materie …“ Die Deltanerin griff nach dem vor ihr liegenden Padd und begann vorzulesen: “Es gibt keine Materie an sich. Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Alls zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente Kraft noch eine ewige Kraft gibt - es ist der Menschheit nicht gelungen, das heißersehnte Perpetuum mobile zu erfinden - so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie. Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche - denn die Materie bestünde ohne den Geist überhaupt nicht - ,sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre! Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen zugehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Da aber auch Geistwesen nicht aus sich selber sein können, sondern geschaffen werden müssen, so scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu benennen, wie ihn alle Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott!“ Elijah verzog das Gesicht. „Das ist nichts Neues.“ „Nein, an sich nicht. Auch nicht der Gedanke, dass Information ein wichtiger Bestandteil …“ „Die Legosteine!“ unterbrach Marla Assjimas Erläuterung. „Ich glaube, ich verstehe, worauf Sie hinaus wollen, Commander. Eine Form von Geist, der in der Materie steckt, ist Information. Das kann man sich klar machen, wenn man ein Beispiel betrachtet, das drei Bausteine zum Gegenstand hat und damit dem Aufbau der Atome aus drei Elementarteilchen entspricht. Beispielsweise kann man sich zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen vorstellen. Sie besitzen einen Eimer voll mit Legobausteinen. Es sind drei Sorten Steine, nämlich solche mit zwei, vier und acht Noppen. Aus diesen Steinen baut das Mädchen ein kleines Puppenhaus mit zwei Zimmern, Möbeln, Ofen usw. Der Junge baut dagegen eine große Burg mit mächtigen Mauern, Zinnen, Toröffnung und Graben. Die Frage ist nun, worin sich Puppenhaus und Burg unterscheiden? Beide Bauwerke sind aus den gleichen Steinen hergestellt. Die einzige Unterscheidung zwischen Puppenhaus und Burg ist die Zahl und Anordnung der Steine. Das gleiche gilt für unsere Welt, in der die unterschiedlichen Elemente Gold, Blei, Wasserstoff oder Kohlenstoff usw. sich nur in der Zahl und Anordnung der Elementarteilchen unterscheiden. Da alle Materie aus den Elementen aufgebaut ist, unterscheidet sich alles, was materiell existiert nur durch die Zahl und Anordnung der Elementarteilchen. Die Anordnung ist nichts anderes als Information. Die Formen, anhand deren man erkennt, ob es sich um ein Puppenhaus oder eine Burg handelt, sind Informationen und auch die unterschiedlichen Formen und Muster der materiellen Welt sind alles Informationen. Aber Information ist sicher nicht der Geist, den Planck meinte. Denn Information ist nichts Lebendiges. Information ist passiv. Planck sprach dagegen von einem bewussten, intelligenten Geist und ein bewusster Geist ist etwas Lebendiges.“ Assjima nickte. „Er konnte es noch nicht belegen, sondern nur erahnen. Um Bewusstsein bei Quanten feststellen zu können, muss man wissen, anhand welcher Kriterien man Bewusstsein überhaupt feststellen kann. Bewusstsein ist kein Untersuchungsgegenstand der Quantenphysik. Deshalb findet man in dieser Disziplin keine geeigneten Kriterien zur Erkennung von Bewusstsein. Hier muss die Psychologie aushelfen. Die Psychologie hat mithilfe geeigneter Kriterien schon bei zahlreichen Tierarten Bewusstsein nachgewiesen. Das Hauptkriterium zur Erkennung einer primären Form von Bewusstsein, das allerdings noch nicht das höhere Ich-Bewusstsein einschließt, ist erstens die Fähigkeit, sich auf unerwartete Veränderungen der Wirklichkeit einzustellen und zweitens ein nicht sicher vorhersehbares, eigengesteuertes Verhalten.“ „Ja, das ist korrekt. Immer wenn Lichtteilchen sich unbeobachtet glauben, bilden sie ein Wellenmuster auf dem Beobachtungsschirm beim Doppelspaltexperiment. Sie sind allerdings sehr eigenwillig: Wenn man nämlich einzelnen Quanten nachspürt, um mehr zu erfahren, verschwindet das Wellenmuster und es bleiben nur noch zwei Streifen übrig. Das gleiche gilt, wenn man abwechselnd einen der Spalte schließt, um mit Sicherheit sagen zu können, durch welchen Spalt ein bestimmtes Lichtteilchen gegangen ist. Die Quanten stellen sich auf alle Veränderungen der Wirklichkeit sofort ein. Ein Psychologe würde aus dem eigenwilligen Verhalten schließen, dass Quanten primäres Bewusstsein zeigen.“ Elijahs Blick wanderte verwundert zwischen den beiden Frauen hin und her. „Worauf wollt ihr hinaus, Mädels?“ „Die blöden Quanten tarnen sich als Streifen, um von uns nicht erwischt zu werden“ lachte Marla. „Pfff!“ „Sinngemäß trifft das aber zu, Elijah. Sie tarnen sich.“ Assjima beugte sich vor und setzte zu einer Erläuterung an: „In der Physik bezeichnet der Begriff Quant ein Objekt, das durch einen Zustandswechsel in einem System erzeugt wird. Photon, Phonon, Graviton …je nach System. Nehmen wir eine Anhäufung unterschiedlichster Systeme. Materie in Form fester Partikel und der durch sie erzeugten Gravitation, dazu diverse Gase, magnetische Felder … ein einzigartiges Gemisch aus Gravitation, elektromagnetische Wechselwirkung, schwache Wechselwirkung, starke Wechselwirkung Wir beide, Elijah, haben ihnen sogar Namen gegeben: Gravitas, Lux, Helios und Nucleos.“ Elijah starrte seine Chefin mit offenem Mund an. In seinem Kopf arbeitete es. „Dazu Zeit, Raum und Materie … Tempus, Spatium und Materies. Du redest von der Ursuppe vor dem Big Bang?“ „Ja und nein. Eigentlich rede ich von diesem Nebel.“ „Von dem Rev annimmt, dass in ihm vielleicht einmal Leben entstehen könnte.“ „Es ist schon entstanden“ schaltete sich nun Marla wieder ein. „Durch Information.“ Elijah fuhr sich verwirrt durch die Haare. „Ich kann euch echt nicht folgen.“ „Information, entstanden aus Phantasie.“ „Aber Marla … Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass unsere frei erfundene Dimede-Schöpfungsgeschichte … die mit dem Kessel und der Spucke …“ „Nicht die Schöpfungsgeschichte, aber womöglich die damit verbundenen Figuren.“ „Und Glonta?“ „Wurde von den Ok’Ta initiiert. Sie entstand aus deren Phantasie.“ Der Anthropologe sprang auf und ging einige schnelle Schritte hin und her, wobei er sich immer wieder durch die langen Haare fuhr. „Das, meine Damen … das ist verdammt starker Tobak. Wenn ich mal rekapitulieren darf: Unsere Phantasie war die Information, welche die verschiedenen Elementarteilchen in diesem Nebel benötigten, um Wesen zu schaffen, die mit uns in der einen oder anderen Weise interagieren können? „Ich denke, es sind nicht so sehr die Teilchen, sondern ein intelligenter Geist, der hinter all dem steckt. Wenn ich nochmal Planck bemühen darf: Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche - denn die Materie bestünde ohne den Geist überhaupt nicht - ,sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre! Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen zugehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Die nach Planck ja wiederum von einem Gott geschaffen werden.“ „In diesem Fall womöglich nicht von Gott, sondern durch unsere Phantasie“ ergänzte Marla. „Also doch eine Tulpa?“ Assjima nickte: „Nur dass wir Dimede nicht mit Willensstärke geschaffen haben, sondern eher unbewusst.“ Elia ließ sich wieder in seinen Sessel plumpsen. „Doch, Assjima. Es war unsere Willensstärke. Wir wollten damals unbedingt, dass unsere Mission gelingt. Genau so wie wir es jetzt wollen. Doch wie wurden unsere Ideen in den Nebel transferiert. Wer hat sie gelesen?“ „Glonta. Sie war die Phantasie-Manifestation, die schon vorhanden war. Einst geschaffen von den Aurelianern und den Ok’Ta.“ „Und wer hat Glonta entstehen lassen?“ Assjima zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vermutlich die Gottheit einer andere Spezies, lange vor den Ok’Ta und den Aurelianern. Ich könnte mir vorstellen, dass solche Manifestationen überall im ganzen Universum zu den verschiedensten Zeiten entstanden sind. Sie entwickeln sich mit den Spezies, verändern, vermehren sich beim Erscheinen neuer phantasiebegabter Wesen … der Geist, der zusammen mit der Materie schon beim Urknall freigesetzt wurde.“ „Wenn das stimmt, dann gibt es so gesehen keine göttlichen Entitäten, welche die Welten geschaffen haben, sondern es waren die denken, phantasiebegabten Wesen, die in ihren Mythen nicht nur Phantasiegestalten geschaffen haben. Diese Götter haben sich tatsächlich manifestiert.“ „Ja“ bestätigte die Deltanerin. „So stelle ich mir das vor. Diese Geistwesen benötigen Input. Information, Phantasie und Geschichten um sich weiter entwickeln zu können. Glonta muss im Raum der phantasielosen Breen ziemlich ausgehungert gewesen sein.“ „Was erklären würde, warum sie sich mit Feuereifer auf unseren erfunden Schöpfungsmythos gestürzt hat“ ergänzte Marla. „Aber was ist mit den vielen Gefangenen in den Lagern? Die hätten ihr doch Nährstoff bieten können.“ Marla rümpfte die Nase. „Die waren ausgelaugt, ohne Willenskraft, ohne Phantasie. Entweder in ihr Schicksal ergeben oder einzig von dem Gedanken besessen, irgendwie zu entkommen. Nichts, was ein Wesen wie Glonta inspirieren könnte.“ Elijah nickte. „Das wäre eine Erklärung. Aber was zum Teufel sind das für Typen, die hier aufgetaucht sind?“ „Ich vermute, dass es sich bei dem Star-Wars Typen und dem Doppelgänger von Contello um einen der Söhne von Dimede handelt. Oder um zwei.“ „Wie? Gravitas, Lux, Helios oder Nucleos?” Elijah atmete tief durch und versuchte sich zu erinnern, welche Eigenschaften sie den vier Grundkräften der Physik damals gegeben hatten. Gravitas ist der Stärkste und unbändigste. Auf der Suche nach dem Rand des Universums reist er durch die Unendlichkeit und hinterlässt eine mächtige Spur aus Bewegung wo immer er seinen Fuß hinsetzt. Lux hingegen ist der Pragmatische. Er setzt die Dinge zusammen und gibt ihnen Bedeutung. Helios und Nucleos sind die Unzertrennlichen, die im Inneren der Dinge wirken. Helios ist still und ausgeglichen, während Nucleos zu gewaltigen Wutausbrüchen neigt und dabei das gemeinsam mit seinem Bruder Geschaffene immer wieder zerstört. „Dann war der Kuttentyp womöglich Lux. Die Personifizierung der elektromagnetischen Wechselwirkung. Der Ruhige, der Pragmatische. Und der Doppelgänger von Contello könnte Helios sein … die Manifestation der schwachen Wechselwirkung. Der Stille, der Ausgeglichene. Und was ist mit der Nixe?“ „Womöglich eine der Töchter. Tempus, Spatium oder Materies … Zeit, Raum, Materie … ich weiß es nicht“ seufzte Assjima. Die Töchter, still im Hintergrund wirkend, die wilden Brüder immer im Blick habend und ihnen Grenzen setzend … so hatte sie sich das damals ausgedacht. Sie scrollte sich durch ihr Padd. „Hier steht es: Euer erster und schwerster Auftrag wird es sein, hinzugehen und euren Brüdern meinen Wunsch zu übermitteln: Sie sollen ihre Kräfte gemeinsam nutzen um dieses Universum zu gestalten. Nach eigenem Ermessen, jedoch unter eurer Aufsicht. Tempus – du bemisst die Zeitspanne von der Geburt bis zum Tode. Setze allem Leben Grenzen. Spatium – du bestimmst den Raum eines jeden Wesens, seine Größe und seinen Platz. Setze allem Leben Grenzen. Materies – du bestimmst die Beschaffenheit der Welten und der Wesen. Setze allem Leben Grenzen. Die Zeit der Kindheit ist vorbei.“ „Spatium oder Materies … die Nixe könnte auf beide passen“ murmelte Elijah. „Und wie zum Teufel erklären wir das unseren Kollegen?“ „Indem ich versuche, alles in einem ordentlichen Bericht zusammen zu fassen.“ Assjima erhob sich. „Das wird etwas Zeit und Ruhe brauchen. Ich gehe am besten in mein Quartier. Elijah, du hast die Station.“ In der Tür drehte sie sich noch einmal um. "Wir haben womöglich den nötigen Perspektivwechsel gefunden. Nicht die Götter haben uns geschaffen, sondern wir die Götter." Dann ging sie und lies zwei sehr nachdenkliche Kollgegen zurück.
  11. Habe deiner Idee noch ein paar Impulse dazugegeben, Onkelchen. Vielleicht hilft das etwas weiter. Ihr könnt davon ausgehen, dass alle eure Hobbels von dem Gespräch mit Entack ganz schnell alles erfahren haben.
  12. „Hier also haben Sie sich versteckt“ Die Elmag schob sich auf die steinerne Bank und lächelte Assjima an. „In der Krankenstation sagte man mir, dass ich Sie hier im Arboretum finden könnte. Sie haben unsere Verabredung vergessen“ „Oh!“ Die Deltanerin hob erschrocken die Hand vor den Mund. „Ich habe wohl die Zeit vergessen. Bitte entschuldigen Sie, Entack.“ „Macht doch nichts. Passiert mir ständig. Ich lasse sie meist irgendwo in meinem Nestschiff liegen.“ „Was …?“ Dann verstand Assjima und lächelte. „Das kann ich mir nur zuhause auf Seyalia erlauben.“ „Sie sollten sie auch hier an Bord öfters mal irgendwie verlegen. Ich habe vorhin in der Messe gehört, wie sich einige Leute aus der Wissenschaftsabteilung die Köpfe zerbrochen haben. Warum meinen Sie alle hier an Bord, eine Göttin entmystifizieren zu müssen?“ „Ist Glonta eine Göttin?“ „Wie definiert man Göttin?“ „Ganz banal? Ein Gott ist ein übernatürliches Wesen oder eine höhere Macht, dem bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden.“ „Übernatürlich aus wessen natürlicher Perspektive?“ Assjima seufzte: „Ich weiß nicht ob ich im Moment in der Lage bin, eine metaphysische Diskussion zu führen.“ „Keine Diskussion, Doktor. Ich frage nur, unter welchen Umständen eine Entität als Gott eingeordnet werden kann. Ist diese Entität ein übernatürliches Wesen, das man ehren sollte oder ist sie die höchste Wirklichkeit, die Quelle oder der Grund alles anderen, perfekt und der Anbetung würdig?“ „Das kommt auf die Spezies an.“ „Je einfacher die entsprechende Spezies gestrickt ist, desto leichter wird es für eine Entität, sich als Gottheit aufzuführen?“ „So ungefähr.“ Entack verzog den Schnabel. „Machen Sie es sich nicht etwas zu leicht, Doktor?“ „Ich habe in den letzten Monaten zu viele Gespräche dieser Art geführt. Mit dem Ergebnis, dass mein Kopf nun vollkommen leer ist.“ Die Elmag ließ trotz der sichtlichen Lustlosigkeit ihres Gegenübers nicht locker. „Das glaube ich Ihnen nicht, Assjima. Es geht um Ihre Freunde. Da kann Ihr Kopf nicht leer sein. An welchen Gott glauben Sie?“ „An gar keinen.“ „Sie sind doch Priesterin. Da muss es irgendeine Gottheit geben. Was ist mit diesem großen Geist der Sterne?“ „Assjimagar ist kein Gott. Er ist ein Geist, eine Idee.“ „Ah“ schmunzelte die Elmag. „Ihr Deltaner gehört also zu diesen hochentwickelten Wesen, denen sich keine Entität mehr als Gottheit präsentieren kann?“ „Na ja … nicht ganz …“ „Also ist Naschpur eure Gottheit?“ Jetzt horchte Assjima auf. Woher wusste die kleine Ok’Ta davon? „Ich habe ein wenig in der Datenbank gelesen“ fuhr Entack verstehend fort. „Ein interessantes Prinzip, das Leben an sich zu verehren. Die höchste Wirklichkeit, perfekt und der Anbetung würdig. So wie das Omega-Molekül der Borg. Oder die Logik der Vulkanier. Wenn Sie wollen, können wir auch den Warpkern Ihres CIs in die Liste mit aufnehmen.“ Die Vorstellung, eines vor dem Warpkern knienden George lies die Deltanerin hell auflachen. „Jetzt weiß ich wenigstens, was er mitten in der Nacht im Maschinenraum treibt.“ „Sehen Sie, Doktor … ein jeder bastelt sich seine eigene Gottheit. Unendlich viele Individuen, unendlich viele Gottheiten … wer soll da noch den Überblick behalten? Und wie um alles im Universum soll man da noch definieren können, was eine Gottheit ist? Die höchste Wirklichkeit, die absolute Perfektion, ein Wunderwerk der Technik … ist es wirklich so wichtig, alles zu ergründen und hinterfragen zu müssen? Es liegt doch immer nur im Auge des Betrachters. Kann etwas nicht nur einfach wunderbar, schön oder perfekt sein? Sich verzaubern zu lassen statt alles zu hinterfragen wäre doch eine Alternative.“ „Durchaus. Aber das würde uns in unserer Situation nicht weiterbringen.“ „Woher wissen Sie das, Assjima?“ Die Deltanerin nagte an ihrer Unterlippe und antwortete dann langsam: „Ich weiß es nicht …“ „Sehen Sie … Sie alle auf diesem Schiff meinen, etwas wissen zu müssen, ohne dass Sie wissen ob Sie es wirklich wissen müssen.“ „Wir sind keine Ok’Ta … es liegt uns nicht, uns einfach nur treiben zu lassen.“ „Sie sind wie die Bauern, die fleißig arbeiten, vorausplanen, Vorräte lagern, um auch mal eine Dürre überstehen zu können. Wir sind mehr wie Fischer, die an einem einzigen Tag ein volles Netz an Bord ziehen, unseren ganzen Erlös genauso schnell wieder verprassen um dann ein paar Tage am Hungertuch zu nagen. Und dennoch leben wir.“ „Eine ungewöhnliche Metapher für eine Raumente“ lachte Assjima. „Ich habe eure Datenbank studiert“ schmunzelte die Elmag zurück. „Da stehen viele interessante Sachen drin. Nachdem das ganze Schiff über Transportertechnologie redet habe ich da auch mal schnell nachgelesen. Wir haben auch welche, aber ich bin eine Elmag. Ich habe keine Ahnung von Technik. Doch hier auf diesem Schiff läuft doch das technische Wissen vieler Völker herum. Warum sehe nur ich etwas, was ihr alle nicht zu sehen scheint?“ Die Ärztin richtete sich auf und starrte die kleine Ok’Ta neben sich an. „Was haben wir übersehen?“ „Diese Transporterquelle in dem Nebel … war die bei eurem letzten Besuch schon da?“ „Ich … ich weiß nicht. Vermutlich nicht. Jedenfalls haben wir sie nicht bemerkt.“ „Habt ihr irgendwelche Spuren irgendeiner Art von Technologie im Nebel gemessen?“ „Nein … jedenfalls hat mir niemand davon erzählt.“ „Ach Assjima – Sie sind doch so gut vernetzt auf diesem Schiff. Wenn irgendjemand etwas im Nebel bemerkt hätte, so hätten Sie es doch als eine der Ersten erfahren.“ „Vermutlich ja … der Nebel wurde von uns auch gründlich gescannt. Ich denke, da war nichts.“ „Da war wirklich nichts. Bis vor ein paar Zyklen. Und es ist keine Illusion. Meine Kolleginnen haben es mir heute Morgen durchgefunkt. Wusch!“ Die Elmag hob die Flügelarme „Es war einfach da!“ „Aber wie ist das möglich?“ „Ich habe da so eine Ahnung. Sie hatten doch eine Vision von Glonta, als Sie das letzte Mal im Subraum unterwegs waren. Dackbad hat mir davon erzählt. Sie sprachen mit ihr. Ging es da auch um Technologien?“ „Hm …“ Assjima dachte angestrengt nach. „Ich meine mich erinnern zu können, dass ich sie darauf hingewiesen habe, die Breen könnten möglicherweise noch mehr Interesse an den Energien im Nebel entwickeln.“ „Das erklärt schon einiges. Sie, Doktor, haben eine Idee gepflanzt. Alles Denken auf diesem Schiff dreht sich darum, wie Ihre Leute aus dem Subraumknoten heraus gebeamt werden können. Glonta baut Ihnen womöglich eine Brücke, Assjima.“ „Dieser Typ, der Kentan über unseren Transporter ausgefragt hat? Hat der was damit zu tun?“ „Ich weiß es nicht. Es ist Ihre Phantasie, Assjima. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss ganz dringend mein drittes Frühstück zu mir nehmen. Wir sehen uns später.“ Entack erhob sich, winkte mit dem Flügelarm und verlies watschelnd das Arboretum. Zurück blieb eine sehr nachdenkliche Deltanerin. „Meine Phantasie???“
  13. Jetzt muss ich doch mal nachfragen: agiert George auf Anweisung des Masters oder frei nach Lust und Laune? Weil ich inzwischen ziemlich irritiert bin, denn er scheint überhaupt nicht wahrzunehmen, dass sich diese Erscheinungen höchstwahrscheinlich gar nicht lokalisieren, geschweige denn greifen lassen. Und ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass nicht diese Personen, sondern nur das PADD mit einem Transporter an Bord kam. Außerdem wird irgendwo gesagt, dass diese Personen identisch sind mit Dimede. Falls George ohne Masteranweisung handeln sollte, möchte ich Jones bitten, doch die vorangegangenen Texte etwas genauer zu lesen bevor er George darauf reagieren lässt. Falls es sich doch um eine Masteranweisung handeln sollte, möchte ich Onkelchen bitten, mir ebenfalls Anwesiungen zu schicken, damit ich meine Posts entsprechend gestallten kann ohne die Intensionen des Masters abzuschießen.
  14. Als Marla um 08:05 Uhr Bordzeit mit frischen Croissants bewaffnet an Assjimas Tür klingelte, war sie eigentlich darauf eingestellt gewesen, die Ärztin direkt aus dem Bett zu holen. Es war reiner Selbsterhaltungstrieb gewesen, der sie dazu zwang, der Kollegin die Chance zu nehmen, den neuen Tag etwas langsamer zu beginnen, denn sie drohte vor lauter Neugier und Elan zu zerplatzen. Umso überraschter war sie, als die Türe umgehend entriegelt wurde und sie eine zwar sichtlich übernächtigte, aber dennoch fertig gerichtete Deltanerin an der kleinen Küchenzeile stehend antraf. „Guten Morgen Assjima. Bitte entschuldigen Sie, dass ich unangemeldet so früh hereinplatze, aber …“ „… Sie konnten es nicht abwarten, mich auf meinen geistigen Zustand hin zu untersuchen, nicht wahr, Councelor?“ unterbrach Assjima augenzwinkernd. „Guten Morgen, Marla. Möchten Sie auch eine Tasse Tee?“ „Gerne, wenn es nicht zu viel Umstände macht. Chef hat heute Morgen frische Croissants im Angebot und ich habe mir erlaubt, ein paar mitzubringen.“ „Wunderbar“ Assjima deutete mit einer einladenden Handbewegung auf das Sofa, stellte zwei Tassen heißen Tees auf den Tisch und kruschtelte ein Glas Honig aus dem Schrank, während Marla sich in dem – abgesehen von der kleinen Küchenecke – eher einfach eingerichteten und wie immer pikobello aufgeräumten Quartier umsah. Außer Bücher und Kleidung schien die Ärztin nicht viel zu besitzen. Diese schien Marlas Gedanken zu erraten. „Ich bin vor Jahren mit meinem Rucksack und einer Tasche eingezogen. Und ich habe vor, so auch wieder zu gehen, wenn ich eines Tages dieses Schiff verlasse. Alles was sich derweil ansammelt, wird regelmäßig nach Hause geschickt. So wird nicht so viel zerstört, wenn zwischendurch das Schiff einmal wieder verwüstet wird“ erklärte sie schmunzelnd und stellte den Honig auf den Tisch. „Der stammt von Jeremys Nichte auf der Erde. Passt perfekt zu Croissants.“ „Sie haben Honig von Tenners Nichte?“ „Bei einem Besuch auf ihrem Weingut hat sie mir ein paar Gläser mitgegeben.“ Die Schiffsberaterin betrachtete Assjima nachdenklich. „Es liegt Ihnen sehr viel daran, den Captain und Aiso zu retten, nicht wahr Doktor?“ Die Deltanerin nickte fast unmerklich. „Es sind meine Freunde. Aiso hat mir damals bei den Vorlok das Leben gerettet und Jeremy … ich meine Captain Tenner … im Laufe der Jahre hat sich zwischen uns eine tiefe Verbindung entwickelt. Nicht nur die eines Captains zu seiner Schiffsärztin … es ist eine enge, auf gegenseitigem Vertrauen basierende Freundschaft.“ „Sie sind eine der wenigen, die es geschafft hat, Tenner gelegentlich zum Lachen zu bringen“ ergänzte Marla. „Ich hatte immer den Eindruck, dass er in Ihrer Gegenwart oft weniger Captain, aber dafür etwas mehr Mensch ist. Sie haben die Eigenart, vor allem die Außenseiter magisch anzuziehen.“ „Womit wir beim Thema wären“ lächelte die Ärztin und nippte an ihrem Tee. „Deswegen sind Sie doch hier, oder nicht?“ „Und ich muss zugeben, dass ich etwas beschämt bin. Ich hätte selber darauf kommen müssen.“ „Worauf?“ „Dass Ihnen … uns … möglicherweise etwas vorgegaukelt wird. Ich habe mich während meiner Ausbildung eine Zeitlang sehr intensiv mit der Neuromagie beschäftigt. Es war für mich damals ungemein faszinierend, zu verstehen, wie leicht sich unsere Wahrnehmung beeinflussen lässt. Ich konnte die Werke von SMSMC nahezu auswendig.“ „Wessen Werke?“ „Stephen Macknick und Susana Martinez-Conde … die Begründer der Neuromagie“ „Ach so … dieses Ehepaar, welche die Zauberei auf der Erde analysiert, rationalisiert und entmystifiziert hat. Euch Menschen reicht es nicht, einfach nur zu verstehen … ihr müsst es auch immer gleich allen anderen erzählen.“ „Sie haben ja so Recht, Assjima. Deswegen habe ich mich auch irgendwann von dieser Wissenschaft abgewandt. Ich wollte mir und dem Rest der Menschheit noch ein klein wenig Magie bewahren“ lachte die Schiffsberaterin. „Aber was ist denn nun Ihrer Meinung nach passiert?“ „Nun ja …“ Marla lehnte sich mit der Tasse in der Hand zurück. „Gesetzt den Fall, dass wir es wirklich mit einem Wesen oder einer Spezies zu tun haben, die uns durch Illusionen beeinflusst, kann ich gut nachvollziehen, warum gerade Sie ausgewählt wurden. Sie sind Empathin, empfänglich für Einflüsse von außen …“ „Aber es gibt noch mehr Empathen auf dem Schiff …“ „Ja, doch keine, die sowohl das nahezu uneingeschränkte Vertrauen des Captains sowie des Sternenflottenkommandos haben. Wie oft hat Ihre Empathie uns schon gerettet?“ Assjima zuckte mit den Schultern, doch Marla fuhr unbeirrt fort: „Sie sind eine der bekanntesten Empathen der Föderation. Eine Vision von Ihnen wiegt ungleich schwerer als die eines einfachen Crewmitgliedes. Ihnen hört man zu. Außerdem ist es inzwischen recht einfach für Außenstehende an Informationen über Sie heranzukommen.“ „Sie wollen also sagen, dass sich irgendein Wesen Informationen über mich beschafft hat um mich ganz gezielt als Opfer magischer Tricks heranzuziehen?“ „Ich würde eher vermuten, dass Sie als Sprachrohr ausgewählt wurden.“ „Welch‘ Ehre“ antwortete Assjima sarkastisch. „Sie sollten es positiv sehen, Doktor. Denn ich bin davon überzeugt, dass sich dieses Wesen oder diese Spezies darüber im Klaren ist, dass Sie irgendwann herausfinden, was da vor sich geht. Sie, die den Ruf einer deltanischen Hexe genießen, müssen diese Tricks irgendwann erkennen.“ „Weil ich sie zum Teil selber anwende …“ stöhnte Assjima. „Wenn auch nicht in diesem Maße. Aber was ist mit Kentan?“ „Da habe ich durchaus ein paar Ideen: entweder handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver – zu welchem Zweck auch immer – oder wir haben es hier mit einer weiteren Partei zu tun, die allerdings nicht so ausgeklügelt vorgeht. Die sich jedenfalls nicht so geheimnisvoll gibt, wie die, mit der Sie zu tun haben. Womöglich wollen die auch einfach nur zusätzlich an technische Informationen ran, die Sie nicht weitergeben können, weil Sie keine besonderen technischen Kenntnisse haben. Vielleicht sind es aber auch nur Trittbrettfahrer.“ „Oder der männliche Part dieser Spezies, der meint, ebenfalls einen Teil zu der Geschichte beitragen zu müssen.“ Marla lachte und verschluckte sich dabei beinahe an ihrem Croissant. „Wenn die wirklich etwas mit Dimede zu tun haben, kann ich das durchaus nachvollziehen. Männer, die sich emanzipieren wollen … das hätte uns gerade noch gefehlt. Wo doch alles eh schon so undurchsichtig ist.“ Assjima schenkte sich beiden Tee nach. „Gott bewahre uns davor! Haben Sie schon das Memo von George gelesen?“ „Ja. Aber ich muss zugeben, dass ich es nicht wirklich kapiert habe.“ „Ich glaube, er hat mein Elaborat von heute Nacht falsch verstanden. Was ich ihm aber nicht verübeln kann … meine Ausdrucksweise war des Öfteren etwas schwammig.“ „Ich interpretiere seine Gedanken dahingehend, dass er davon ausgeht, dass diese Zsa Zsa Gabor mit einer bislang unbekannten Transportertechnologie an Bord gebeamt wurde. Ich habe Ihre Analyse von Suvals Sensoraufzeichnungen jedoch so verstanden, dass nur das PADD mit Hilfe eines Transporters auf das Schiff kam, die Person selber jedoch eine durch magische Tricks erzeugte Manifestation Ihrer eigenen Gedanken sein könnte.“ Die Deltanerin nickte zustimmend. „So habe ich es auch gemeint. Was uns unweigerlich zu der Frage führt: Warum wurde das PADD gebeamt, nicht aber die Person? Warum der Umweg über mein Gehirn, wenn es nur um die Schaffung einer Kommunikationsmöglichkeit geht?“ „Vielleicht wollen sie keinen der Ihren persönlich auf unser Schiff schicken. Womöglich könnten die in unserer Atmosphäre nicht überleben …“ „Oder sie können hier nicht einmal existieren … falsche Dimension? Anderes Universum? Subraumwesen? Dimensionslose Wesen? Es gäbe viele Möglichkeiten …“ Marla betrachtete die Kollegin nachdenklich. „Es könnte auch ganz banal sein: Sie können nur tote Materie transportieren, keine Lebewesen. Gesetzt den Fall, dass Dimede zu diesen Wesen gehört … oder einfach auch nur dieses eine Wesen ist, das diese Visionen entstehen lässt und uns dieses PADD geschickt hat … wenn sie die Technologie besäße, lebende Materie zu transportieren … hätte sie Ihnen das nicht mitgeteilt?“ „Sie behauptet, dass sie keinen Weg wüsste, wie unsere Leute aus diesem Elysium herausgeholt werden können. Wie waren doch gleich ihre Worte? Ich bin nur die Erzählerin. Um die physikalischen Kräfte des Universums zu überwinden braucht es mehr als Worte und Phantasie … Ich kann dir nicht sagen, wie du mit einem Raumschiff hinein kommen kannst. Eure Materie ist nicht die meine “ rezipierte Assjima aus der Erinnerung heraus. „Womit wir wieder beim Shuttle und dem Nadelöhr wären. Wie können wir in einen Bereich des Universums gelangen, in dem Wesen leben, die in unserem Bereich nicht existieren können? Und wieso können diese Wesen eine Art Blase schaffen, in der unsereiner überleben kann, nicht aber umgekehrt?“ Sie seufzte. „Ich wünschte, ich hätte damals diesen blöden Pappbecher aufgehoben, den mir die alte Frau in diesem Elysium-Park in die Hand gedrückt hat. Es würde mich nicht wundern, wenn dieser auch noch eine psyonische Reststrahlung gehabt hätte.“ „Sie gehen davon aus, dass es sich bei dieser alten Frau ebenfalls um eine magische Manifestation ihrer eigenen Gedanken handeln könnte?“ Die Deltanerin nickte. „Ja. Ich glaube, dass mir Dimede nur einmal in ihrer wahren Gestalt erschienen ist. In dieser Vision im Subraumkanal, als sie mir die kleine Welt zeigte, auf der Jeremy und Aiso auf uns warten würden.“ „Wir sind ja nun schon ein paar Stunden in Subraumkanälen unterwegs. Haben Sie inzwischen versucht, erneut mit Dimede Kontakt aufzunehmen?“ „Heute Nacht. Aber ich konnte mich nicht so richtig auf meine Mediation konzentrieren. Vielleicht sind wir noch nicht nahe genug am Nebel.“ „Oder Sie sind zu abgelenkt, Assjima. Ich schlage vor, dass Sie sich den Vormittag frei nehmen und etwas entspannen. Ich werde unsere Gedanken derweil zusammen fassen und Captain Vartik sowie den anderen einen kurzen Bericht zukommen lassen.“ Marla erhob sich. „Einverstanden?“ „Einverstanden.“
  15. Geschlagene zwei Stunden war Assjima mit der Elmag kreuz und quer durch das Schiff gewandert. Diese weibliche Raumente unterschied sich in fast allem von den männlichen Ok’Ta. Sie war höflich, etwas zurückhaltend und drückte sich überlegt und gewählt aus. Doch war Entack mindestens genauso neugierig. Auch wenn sie es besser versteckte. Sie zeigte an allem und jedem Interesse, lies sich die Replikatoren, den Antrieb, die Schalldusche und vieles mehr bis ins kleinste Detail erklären, unterhielt sich im Casino mit Crewmitgliedern über deren Lieblingsessen, bestand freundlich, aber bestimmt darauf, dass Chef ihr einen seiner Kühlräume mit frischem Gemüse zeigte, untersuchte die Webtechnik des Teppichs in ihrem Quartier und verwies einmal wieder die beiden lautstarken Ok’Ta-Piloten auf der Brücke in ihre Schranken. Zum Schluss saßen sie beide in Assjimas Büro und tranken frisch aufgebrühten Tee. Als die Tassen leer waren erhob sich Entack: „Danke Doktor. Das war ein enorm spannender Rundgang. So vieles bei Ihnen ist mir fremd. Dies wird für mich eine sehr spannende Reise. Aber Sie sehen müde aus und auch ich habe einen sehr langen Tag hinter mir. Ich weiß, dass Sie viele Fragen haben und ich bin mir sicher, dass ich zumindest einen Teil davon beantworten kann. Doch lassen Sie uns das auf morgen verschieben.“ In der Türe drehte sie sich noch einmal um und betrachtete die Deltanerin nachdenklich. „Eine Frage habe ich doch noch … Sie sind Deltanerin. Sie sind sogar eine Priesterin. So wie ich auch eine bin. Aber … warum denken Sie so … wie die vielen Menschen hier an Bord? Sie sind so logisch … ganz anders, als ich mir die Deltaner vorgestellt habe.“ Assjima lächelte. „Das höre ich nicht zum ersten Mal. Vermutlich bin ich zu wenig daheim auf Seyalia. Die Menschen haben die Eigenart, abzufärben.“ Entack schüttelte den Kopf und verzog den zierlichen Schnabel zu einem angedeuteten Lächeln. „Sie sollten so denken, wie Sie es gelernt haben, Assjima. Wie eine Priesterin. Wie eine Heilerin. Wie eine Empathin ... Wie eine Zauberin. Nur so werden Sie Glonta näher kommen. Indem Sie die Perspektive wechseln. Gute Nacht, Doktor.“ Nachdem die Elmag den Raum verlassen hatte, starrte Assjima einige Augenblicke lang Löcher in die Luft. Woher um alles im Universum weiß diese kleine Ok’Ta, dass ich eine … Sie schob den Gedanken beiseite und öffnete das Postfach, in dem einige Nachrichten ungeduldig piepsend darauf warteten, endlich beachtet zu werden. Der mit dem Stein von Gol verstärkte Psychotricorder reagierte auf das Padd von Zsa Zsa Garbor? Ein Shuttle durch ein Nadelöhr zu fliegen? Transporterstrahl? Sie war zu müde, um eingehend darüber nachzudenken und öffnete die Nachricht von Suval. Er hatte ihr die Aufzeichnungen der Sensoren während des kurzen Besuches der Habnó im Arboretum geschickt. Als sie die Kurven und Daten überflog, stockte ihr mit einem Mal der Atem. Das sah aus wie … „Computer … öffne die Aufzeichnungen des Astralscanners während des Einsatzes bei Neria … genauer spezifiziert: die Messungen meiner eigenen Gehirnströme, die vom Scanner verstärkt wurden.“ Mit offenem Mund starrte sie auf die Darstellungen der wellenförmigen Linien, zappte sich zurück zu Suvals Daten, wieder zurück zu den Archivaufzeichnungen. „Bei Assjimagar! Das kann doch gar nicht sein. Computer – öffne eine Verbindung zu Suval.“ Wenige Sekunden später erschien das Gesicht des Vulkaniers auf dem Monitor. „Doktor? Was kann ich für Sie tun?“ „Suval … bitte verzeihen Sie die späte Störung. Könnten Sie bitte etwas für mich überprüfen?“ Nur fünf Minuten später – die Assjima nutze um sich einen Raktajino zu holen (dies könnte eine lange Nacht werden) - flimmerte das Ergebnis des Ingenieurs über ihren Monitor. Er konnte es noch nicht bis in alle Einzelheiten erklären … eingehende Untersuchungen seien nötig … aber es wäre möglich … die Sensoraufzeichnungen von Assjima erster Begegnung mit der Habnó im Casino könnten tatsächlich die Spur eines bislang noch unbekannten Transporterstrahls beinhalten. „Eingebettet in ein Rauschen, das linear dargestellt wie ein Schatten meiner eigenen Gedankenströmungen aussieht …“ Die Ärztin lehnte sich zurück und schloss die Augen „Ich muss die Perspektive wechseln … nicht denken wie ein Mensch, sondern wie eine deltanische … Sie hat Zauberin gesagt, nicht Hexe … Magie! Nicht die Logik, sondern die Magie führt uns weiter … Illusion! Die Perspektive wechseln … Mit anderen Augen hinschauen, denn … sehen ist nicht gleich sehen! Bei Assjimagar – ich bin auf einen genial ausgeführten, aber altbekannten Taschenspielertrick reingefallen!“ Mit einem Wisch flog die Kaffeetasse quer durch den Raum und zerbarst auf dem Fußboden. Vier Stunden, fünf Tassen Raktajino extra stark später und einer starken Inanspruchnahme des Bordarchivs war ihr Bericht an die Führungsoffiziere fertig: Werte Kollegen und Kolleginnen … Was für eine dümmliche Eröffnung, aber ihr fiel in diesen frühen Morgenstunden nichts Besseres mehr ein. Womöglich habe ich eine Spur gefunden. Mir ist aufgefallen, dass die Sensoraufzeichnungen während der beiden Besuche Zsa Zsa Gabors an Bord auffallend meinen eigenen Gedankenströmen während der psionischen Verstärkung durch den Astralscanner ähneln. Suval meint, in den ersten Sekunden des Erscheinens der Habnó im Casino in diesen aufgezeichneten Wellenmustern die Signatur einer bislang unbekannten Transportertechnologie erahnen zu können (Bitte an die Technik um eingehendere Untersuchungen). Ich vermute, dass dieses Padd in dem Moment von unbekannter Hand an Bord gebeamt wurde als Mrs. Gabor im Casino erschien. Die Habnó ist erst erschienen nachdem der Stein von Gol an den Psychotricorder angeschlossen und aktiviert wurde. Wenn nun durch eben diese Konstruktion die Gedanken der Crew erfasst und weitergeleitet werden? (Bitte an Marla und Rev, sich mit diesem womöglich noch etwas abwegig erscheinenden Gedanken zu befassen) Vorausgesetzt, dies wäre möglich, könnten wir Opfer mehrerer magischer Tricks geworden sein, die auf geniale Weise miteinander kombiniert wurden. Ich denke jetzt nicht an irgendwelchen Abrakadabra-Kram (obwohl der durchaus auch damit zu tun hat) sondern von der Wissenschaft der Neuromagie (nicht lachen – das gibt es wirklich. Sogar auf der Erde … schon im 21. Jahrhundert). Die Neuromagie befasst sich mit der Manipulation des Gehirns durch bestimmte Techniken. Neurowissenschaftler stellten sich damals die Frage, wie Show-Zauberer durch Illusion ihr Publikum beeinflussen. Ergebnis: Wir sehen nur das, was wir erwarten! Die Augen fokussieren nur einen bestimmten, sehr kleinen Teil des Gesichtsfeldes. Das am Rande Wahrgenommene erscheint eher unscharf und wird vom Gehirn kompensiert. Zugleich filtert das Gehirn die vielen durch das Auge aufgenommenen Reize bis auf das Wesentliche heraus, um eine Reizüberflutung zu vermeiden. Damit das Gesehene in Bruchteilen von Millisekunden gedanklich umgesetzt werden kann, berechnet das Gehirn das Wahrscheinliche voraus. Dieses Phänomen machen sich Taschentrickkünstler seit Jahrtausenden zu Nutze. Beispiel: Ein Trickkünstler wirft mit der linken Hand einen Ball mehrere Male auf und ab. Plötzlich verschwindet der Ball mitten in der Luft, um später hinter dem Ohr eines Zuschauers hervorgezogen zu werden. Vollkommen unmöglich, aber alle haben es mit eigenen Augen gesehen. Doch was ist tatsächlich passiert? In Wahrheit hat der Ball beim letzten Wurf die Hand des Trickkünstlers niemals verlassen und ist in seinem Ärmel verschwunden. Das Auge hat dies auch ganz deutlich gesehen. Das Gehirn jedoch ist von der logischen Wahrscheinlichkeit ausgegangen, dass der Ball erneut in die Luft fliegt und hat dem Bewusstsein dieses Bild vorgegaukelt. Das Gehirn versucht, die Zukunft zu erahnen. Eine perfekte Illusion, die diese Schwäche des Gehirns ausnutzt. Sehen ist eben nicht gleich sehen, denn es ist die Schlussfolgerung, die die Wahrnehmung bestimmt, nicht die Realität. Trickkünstler nutzen noch andere Schwächen der Wahrnehmung, z.B. das Fokussieren auf einen bestimmten Gedanken, solange bis dieser real erscheint. Oder Ablenkung durch z.B. Schreckmomente, Lachen, weite, runde Gesten, unterhaltsame Reden usw. Worauf ich hinaus will … gesetzt den Fall, dass der Stein von Gol tatsächlich die Gedanken der Crew oder einzelner (empathischer?) Mitglieder an Dritte weiter gibt … Es wäre unter neuromagischen Gesichtspunkten absolut möglich, dass die Gedanken einzelner Personen von außen so beeinflusst werden, dass sie glauben, etwas zu sehen und zu hören ,was in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist (zumindest nicht unter den weithin als „normal“ geltenden Gesichtspunkten). Ich z.B. habe mich nun über Wochen intensiv mit unendlich vielen Mythen unendlich vieler Spezies beschäftigt. Mein Unterbewusstsein jongliert ständig mit diesen Geschichten. Ich erinnere mich deutlich an die Geschichte vom Donauweibchen. Mit Sicherheit habe ich auch irgendwo von deren ungarischer Ausführung, den Habnó gehört, kann mich aber nicht mehr bewusst daran erinnern (Stichwort Reizüberflutung). Dann ist mir eingefallen, dass Sam ein Faible für alte Hollywood-Filme hat und mir den einen oder anderen Film mit Zsa Zsa Gabor gezeigt hat. Mir haben die nicht gefallen – ich habe sie verdrängt. Trotzdem sind sie im Gehirn abgespeichert und abrufbar. Meine Theorie: jemand von außen manipuliert meine Gedanken, mein Wissen, meine Erinnerung dahingehend, dass ich mich mit einer Person unterhalte, die nach meinem Empfingen absolut real erscheint. Womöglich ist auch Kentan ein Opfer dieses Phänomens geworden. Ich will damit aber keinesfalls sagen, dass diese Personen nicht real seien. Zumindest nicht aus der Sicht eines Magiers. Die Wahrheit liegt immer im Auge des Betrachters. Womöglich wurden meine Gedanken benutzt, um eine Tulpa zu schaffen. Wie auch immer: Es wurde möglicherweise ein Wesen geschaffen, durch das es dem Magier ermöglicht wird, mit uns zu kommunizieren. So wir bereit dazu sind, es wahrzunehmen. Ich weiß nicht, ob Dimede hinter all dem steckt, ober ob auch sie nur eine von einem anderen magischen Wesen geschaffene Figur ist. Wie auch immer: ich könnte mir vorstellen, dass wir es mit raffinierter Zauberei zu tun haben. Abgefahrene Tricks, aber keineswegs übernatürlicher Herkunft. Die uns überlassenen Botschaften könnten durchaus dahingehend interpretiert werden: „Der Weg des Helden ist schwer zu erkennen und stets gefahrvoll. Reinen Herzens und voller Mut beschreitet er ihn.“ Reinen Herzens … das beinhaltet eine gewisse Naivität, ein simples Gottvertrauen, Leichtgläubigkeit – sehr anfällig für magische Tricks. Voller Mut … man schaut nicht nach rechts und nach links, man schreitet mutig voran – fruchtbarer Boden für einen begabten Magier. „Wer schafft es, ein Shuttle durch ein Nadelöhr zu bringen? Kein Pilot, aber ein Ingenieur mit einem scharf gebündelten Transporterstrahl“ Logischerweise ja. Aber auch ein Magier schafft das mit einem guten Trick. Wenn z.B. das Nadelöhr nur als Nadelöhr wahrgenommen wird, in Wirklichkeit aber ein breites Portal ist. „Wir verlassen den Orbit in einer scharfen Kurve. Das Echo nimmt nicht den geraden Weg. Der Pfad teilt sich auf.“ Ich denke, nach den vorangegangenen Erläuterungen muss ich dazu gar nicht mehr viel sagen. Aber es gibt den Spruch einer alten Meisterin der weißen Schule, die vor Generationen gesagt hat: „Ich glaube, dass wir alles, was wir wahrnehmen, in eine Geschichte packen, die uns glaubhaft erscheint. Und in diese Geschichte kommt eben nur, was zu der Geschichte passt. Für solche guten Geschichten opfert das Gehirn gern ein bisschen Wahrheit. Denn sie sind es, die unserem Leben Bedeutung geben, Illusion hin oder her.“ Wie gesagt, es sind alles nur Theorien. Aber lasst uns ein wenig darüber nachdenken, und versuchen, die Perspektive zu wechseln. Ich gehe jetzt schlafen. Bitte nicht vor acht Uhr anrufen. Gute Nacht Commander Dr. Assjima
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